Frühjahr-Sommer 1875 5 [1-100]
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Alle Geschichte ist bis jetzt vom Standpuncte des Erfolges und zwar mit der Annahme einer Vernunft im Erfolge geschrieben. Auch die griechische Geschichte: wir besitzen noch keine. Aber so steht es überhaupt: wo sind Historiker, die nicht von allgemeinen Flausen beherrscht die Dinge ansehn? Ich sehe nur einen—Burckhardt. Überall der breite Optimismus in der Wissenschaft. Die Frage: “was wäre geschehn, wenn das und das nicht eingetreten wäre” wird fast einstimmig abgelehnt, und doch ist sie gerade die kardinale Frage, wodurch alles zu einem ironischen Dinge wird. Man sehe nur sein Leben an. Wenn man nach Plan in der Geschichte sucht, so suche man ihn in den Absichten eines gewaltigen Menschen, vielleicht in denen eines Geschlechtes, einer Partei. Alles übrige ist ein Wirrsal.— Auch in der Naturwissenschaft ist diese Vergötterung des Nothwendigen. —
Deutschland ist die Brutstätte für den historischen Optimismus geworden: daran mag Hegel mit Schuld sein. Aber durch nichts hat die deutsche Cultur verhängnissvoller gewirkt. Alles durch den Erfolg Unterdrückte bäumt sich allmählich auf; die Geschichte als der Hohn der Sieger; servile Gesinnung und Devotion vor dem Faktum—“Sinn für den Staat” nennt man’s jetzt: als ob der noch hätte gepflanzt werden müssen! Wer nicht begreift, wie brutal und sinnlos die Geschichte ist, der wird auch den Antrieb gar nicht verstehn die Geschichte sinnvoll zu machen. Nun sehe man, wie selten eine solche sinnvolle Erkenntniss des eignen Lebens ist wie die Goethes: was soll nun aus allen diesen verschleierten und blinden Existenzen Vernünftiges geschehn, wenn sie mit und gegeneinander chaotisch wirken.
Besonders naiv ist es nun, wenn Hellwald, der Verfasser einer Cultur-Geschichte, von allen “Idealen” abwinkt, weil die Geschichte immer eins nach dem andern abgethan habe. [Vgl. Friedrich Anton Heller von Hellwald, Culturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung von der ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Augsburg: Lampart, 1874.]