Herbst 1877 25 [1-3]
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Vorrede.
Wenn es schon dem Autor begegnet, dass er, vor sein eigenes Buch hingestellt, demselben mit Befremdung in’s Gesicht sieht und ihm die Frage über die Lippen läuft: bin ich’s? bin ich’s nicht?—um wie viel mehr müssen die Leser seiner früheren Schriften eine solche Empfindung haben, zumal wenn sie den Autor derselben nicht persönlich kennen und er ihnen nur als Geist und Charakter jener Schriften vor der Seele steht. Diesen Lesern, den mir allezeit gegenwärtigen, treuen, unerschrockenen Anspornern und Vertheidigern meines höhern Selbst—bin ich demnach eine Erklärung schuldig, nicht darüber was das Buch ist, sondern was es für sie, für mich bedeutet: die selbe Erklärung, welche ich mir gebe, wenn ich, wie gesagt, mitunter dem eigenen Kinde mit Verwunderung in die Augen sehe und es bald ein wenig unheimlich, bald allzu harmlos finde.
Jeder von uns, den ausgeprägteren Menschen dieses Zeitalters, trägt jene innere freigeisterische Erregtheit mit sich herum, welche in einem, allen früheren Zeiten unzugänglichen Grade uns gegen den leisesten Druck irgend einer Autorität empfindlich und widerspänstig macht. Es ist ein Zufall, dass Keiner von uns bis jetzt ganz und gar zum Typus des Freigeistes der Gegenwart geworden ist, während wir den Ansatz zu ihm und den gleichsam vorgezeichneten Abriss seines Wesens wie mit Augen an uns Allen wahrnehmen. Während nun der Verfasser dieses Buches seit geraumer Zeit jenen grossen typischen Menschen nachspürte, welche aus diesem Zeitalter heraus und über dasselbe hinauswachsen, um einmal die Stützen einer zukünftigen Cultur zu sein, entgieng ihm jener Mangel eines wesentlichen Typus nicht; er suchte sich dadurch zu helfen, dass er das Bild des Freigeistes der Gegenwart nach jenen inneren Fingerzeigen zu sehen und allmählich zu malen versuchte. Indem er auf die Stunden sorgsam Acht gab, in welchen jener Geist aus ihm redete, indem er das Gesetz der Stunden, den inneren Zusammenhang jener Geisterreden fand, wurde ihm aus einem Geiste eine Person, aus einer Person beinahe eine Gestalt. Zuletzt gewann er es nicht mehr über sich, dieselbe, als den Typus des Freigeistes der Gegenwart, öffentlich nur zu malen; das Verwegenere gefiel ihm, den Geist reden zu lassen, ja ihm ein Buch unterzuschieben. Möge der Hörer dieser Reden mit Vertrauen seine Nähe fühlen, möge er empfinden, wie jene fast nervöse freigeisterische Erregbarkeit, jener Widerwille gegen die letzten Reste von Zwang und anbefohlener Mässigung an eine gefestete, milde und fast frohsinnige Seele angeknüpft ist, bei der Niemand nöthig hat, gegen Tücken und plötzliche Ausbrüche auf der Hut zu sein! Namentlich fehlt diesem freien Gesellen der knurrende Ton und die Verbissenheit, die Eigenschaften alter Hunde und Menschen, welche lange an der Kette gelegen haben; der moderne Freigeist ist nicht wie seine Vorfahren aus dem Kampfe geboren, vielmehr aus dem Frieden der Auflösung, in welche er alle geistigen Mächte der alten gebundenen Welt eingegangen sieht. Nachdem dieser grösste Umschwung in der Geschichte eingetreten ist, kann seine Seele ohne Neid und fast bedürfnisslos sein, er erstrebt für sich nicht Vieles, nicht viel mehr; ihm genügt als der wünschenswertheste Zustand jenes freie furchtlose Schweben über Menschen, Sitten, Gesetzen und den herkömmlichen Schätzungen der Dinge. Die Freude an diesem Zustande theilt er gerne mit; wer mehr von ihm will, den weist er, ein wenig Spott auf der Lippe, mit wohlwollendem Kopfschütteln, hin zu seinem Bruder, dem freien Menschen der That: mit dessen “Freiheit” es freilich eine eigene Bewandtniss hat, über welche manche Geschichte zu erzählen wäre. —
Nachdem solchermaassen der Autor—fast hätte ich gesagt: der Dichter—den Prolog zu Gunsten seines Stückes und Helden gesprochen, mag Dieser selbst auftreten und sein monologisches Spiel beginnen. Ob Trauerspiel? Ob Komödie, ob Tragikomödie? Vielleicht fehlt das Wort, welches hier zur Bezeichnung völlig ausreichte: so möge ein Vers uns zu Hülfe kommen und den Zuhörer vorbereiten:
Spiel der Gedanken, es führt
eine der Grazien dich:
O wie weidest den Sinn du mir! —
Weh! Was seh’ ich? Es fällt
Larve und Schleier der Führerin,
und voran dem Reigen
schreitet die grause Nothwendigkeit.