Oktober-November 1888 24 [1-10]
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Was Goethe angeht: so war der erste Eindruck, ein sehr früher Eindruck, vollkommen entscheidend: die Löwen-Novelle, seltsamer Weise das Erste, was ich von ihm kennen lernte, gab mir ein für alle Mal meinen Begriff, meinen Geschmack “Goethe.” Eine verklärt-reine Herbstlichkeit im Genießen und im Reifwerdenlassen,—im Warten, eine Oktober-Sonne bis ins Geistigste hinauf; etwas Goldenes und Versüßendes, etwas Mildes, nicht Marmor—das nenne ich Goethisch. Ich habe später, um dieses Begriffs “Goethe” halber, den “Nachsommer” Adalbert Stifters mit tiefer Gewogenheit in mich aufgenommen: im Grunde das einzige deutsche Buch nach Goethe, das für mich Zauber hat.— Faust—das ist für den, der den Erdgeruch der deutschen Sprache aus Instinkt kennt, für den Dichter des Zarathustra, ein Genuß ohne Gleichen: er ist es nicht für den Artisten, der ich bin, dem mit dem Faust Stückwerk über Stückwerk in die Hand gegeben wurde,—er ist es noch weniger für den Philosophen, dem das vollkommen Arbiträre und Zufällige—nämlich durch Cultur-Zufälle Bedingte in allen Typen und Problemen des Goetheschen Werks widerstrebt. Man studirt achtzehntes Jahrhundert, wenn man den “Faust” liest, man studirt Goethe: man ist tausend Meilen weit vom Nothwendigen in Typus und Problem. —