Ende 1870 6 [1-18]
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Wer die Lust einer anschaulichen Erkenntniß an sich erfahren hat und merkt, wie diese in einem weiten Ringe die ganze Welt der Erscheinungen zu umfassen sucht, der wird von da an keinen Stachel, der zum Dasein treiben könnte, heftiger empfinden als die Begierde, jene Eroberung zu vollenden und das Netz undurchdringbar festzuspinnen. Einem so Gestimmten erscheint dann das Bild des platonischen Sokrates als der Lohn, als ganz neue Form der Daseinsseligkeit.
Der theoretische Genius als Vernichter der hellenischen apollinischen Kunst: dagegen die Weltbilder der Philosophie und des Christenthums und Religion, überhaupt der instinktiven Mächte: aus den Ruinen der zerstörten Kunst blüht die Mystik. Gegen die Wahnvorstellungen: neue Weltbilder entgegengestellt, die dann wieder logisch zersetzt werden und zu neuen Schöpfungen auffordern. Immer solider die Grundlage, immer vorsichtiger der Bau, immer größere Denkkomplexe arbeiten zusammen, dies die Weltmission des Hellenischen und des Sokrates. Scheinbar wird ja der Mythus immer mehr ausgeschlossen. In Wahrheit wird der Mythus immer tiefsinniger und großartiger, weil die erkannte Gesetzmäßigkeit immer großartiger wird. Man wird zur mystischen Conception gedrängt. Sodann aber drängt überhaupt die Wucht des logischen Denkens die Gegenmacht hervor, die dann mitunter auf Jahrtausende die Logik in Bande schließt.
Kampf dieser beiden Formen der Kunst: die philosophischen Weltbilder behaupten sich als erweisbare Wahrheit, die religiösen als nicht erweisbare, darum geoffenbarte W<ahrheit>. Gegensatz des theoretischen Genies und des religiösen Genies. Es ist eine Vereinigung möglich: einmal schärfste Bestimmung der Grenze des Logischen, anderseits die Erkenntniß, daß zu unsrer Existenz der Schein nöthig ist.
Dies der neue Gegensatz des Apollinischen und des Dionysischen, der in der tragischen Kunst und Musik eine Vereinigung finden kann, die hier das Ziel des Confliktes erreicht. Die volle Scheinbarkeit der Welt, auch die Kunst muß uns als entwickelt sich zeigen: aber sie muß sich wieder abwickeln.— Einfluß der Gestirne.