Januar-Februar 1874 33 [1-16]
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Das Publicum, welches in unsern Theatern sitzt, ist für die verschiedenen Künste des Theaters sehr verschiedenartig und ungleichmäßig ausgebildet; der Grad seines Wissens und Fühlens ist für die Musik ein anderer, als für die Schauspielkunst, und wieder ein anderer für die dramatische Dichtkunst. Wagner beobachtete frühzeitig das, was auf dieses Publicum wirkt, und setzte zur Erklärung dieser Wirkungen voraus, daß jenes Publicum immer aus dem Innersten heraus und gleichsam aus der einen Wurzel seines Wesens seine Neigung und Abneigung äußere. Er suchte also die Quelle der Wirkungen hinter den verschiedenen Ausbildungen in dem lebendigen Kerne der Individuen. Bei dem Anblick einer Oper nahm er z. B. instinktiv an, daß kein Zuhörer seinen Musikgenuß von dem Genuß des Dramas und der schauspielerischen Kunst abtrennen könne und daß der Effekt, den die ganze Oper macht, aus einer Menge von einzelnen Effekten zusammen addirt sei, zu denen jede Kunst eine völlig gleiche Zahl beigesteuert habe. Später wurde ihm diese Rechnung durch eine große Schauspielerin in Verwirrung gebracht, die Schröder-Devrient steigert eine unbedeutende Musik und ein oberflächliches, marionettenhaftes Theaterstück durch ihr Spiel zu der Wirkung tragischer Größe; aber sofort steigert sich auch das Ideal Wagners, und seine Rechnung kommt wieder in’s Gleiche dadurch, daß er sich die Frage stellt, welche Höhe wird erst die Wirkung erreichen können, wenn einer solchen Künstlerin die Größe der Musik und überhaupt das ganze Drama entspricht.