September 1876 18 [1-62]
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146. Der platonische Sokrates ist im eigentlichen Sinne eine Carricatur; denn er ist überladen mit Eigenschaften, die nie an Einer Person zusammensein können. Plato ist nicht Dramatiker genug, um das Bild des Sokrates auch nur in einem Dialoge festzuhalten. Es ist also sogar eine fliessende Carricatur. Dagegen geben die Memorabilien des Xenophon ein wirklich treues Bild, das gerade so geistreich ist, als der Gegenstand des Bildes war; man muss dieses Buch aber zu lesen verstehen. Die Philologen meinen im Grunde, dass Sokrates ihnen nichts zu sagen habe, und langweilen sich desshalb dabei. Andere Menschen fühlen, dass dieses Buch zugleich sticht und beglückt. [Vgl. Xenophon, Memorabilia Xenophōntos Apomnēmoneumatōn biblia tessara = Commentarii dictorum factorumque Socratis ad defendendum eum scripti a Xenophonte libris IV: cum Apologia Socratis. Fide librorum editorum scriptorumque et virorum doctorum coniecturis annotationibusque post Schneiderum et Coraium recensuit et interpretatus est Fridericus Augustus Bornemann. Lipsiae: Sumtibus librariae Hahnianae, 1829.]