Winter 1876 - 1877 20 [1-21]
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16. — — — In der That sind diese Folgen bedenklich. Wenn die schlechte, ungeschickte Handlung irgend wann einmal keinen Unmuth mehr nach sich zieht, so würde diese kalte Gesinnung, an die man sich in Hinsicht auf das Vergangene gewöhnt hätte, auch die Freude am Gethanen entwurzelt haben. Nun wird aber das Handeln des Menschen durch die Anticipation der zu er werbenden Lust oder Unlust bestimmt: fällt diese in Hinsicht auf sogenannte moralische Lust oder Unlust weg, so hält ihn keine Empfindung mehr von der schlechten Handlung zurück, und zöge ihn nichts mehr zu der guten That hin: es sei denn die Rücksicht auf das Nützliche oder Schädliche; die Moral wiche einer Nützlichkeitslehre. Der Mensch würde in Hinsicht auf das Kommende eben so kalt und klug werden wie in Hinsicht auf das Vergangene. Dann würde er für die kalte Ueberlegung reif sein, welchen Werth sein gegenwärtiges Leben habe, das immer noch schmerzhaft genug sein könnte, nebst der Erwägung, ob nicht vielleicht das Nichtsein dem Sein vorzuziehen sei. In Erkenntniss oder Witterung dieses Sachverhaltes, sträubt sich jeder Mensch und auch jede philosophische Ethik gegen die Aufhebung der Verantwortlichkeit: letztere mit Unrecht, da die Philosophie durchaus nicht auf die Consequenzen der Wahrheit, sondern nur auf sie selber zu achten hat.— Dass das Leben des Menschen als Ganzes keine Folge der Empfindung in Lust oder Unlust haben solle, sondern mit Vernichtung und völliger Empfindungslosigkeit schlösse, wird aus demselben Grunde gemeinhin abgelehnt: man fürchtet den Glauben an den Werth des Lebens zu schwächen und die Lust zum Selbstmorde zu ermuthigen. Der Wille zum Leben wehrt sich gegen die Schlüsse der Vernunft und versucht diese zu trüben: daher die Bedeutung, die man den letzten Augenblicken des Lebens auf dem Sterbebette beilegt, als ob da noch etwas zu fürchten oder zu hoffen wäre.