Ende 1880 7 [201-313]
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Zur Ableitung des Mitleids.
Sobald das Mitleiden gefordert und gelobt wird, so bekommt es einen moralischen Charakter als gut. Man giebt sich ihm hin, man scheut nicht seine Kundgebung—unter anderen Verhältnissen gilt es als Schwäche. Die Philosophen sehen im Mitleide wie in jedem Sich-verlieren an einen schädigenden Affekt eine Schwäche. Es vermehrt das Leid in der Welt: mag [es] indirekt das Leiden vermindern, diese Folge darf es nicht im Wesen rechtfertigen! Gesetzt, es herrschte: so gienge sofort die Menschheit zu Grunde.
Dagegen vermehrt die Mitfreude die Kraft der Welt. Die Freude an dem Individuum, welches selber, was ihm auch geschehe, die Freude an sich oben erhält, ist ein sehr hoher Gedanke! Man muß helfen, um sich wieder mitfreuen zu können—aber seine Seele so lang im Zaume haben und kalt stellen, daß sie nicht vom Jammer angesteckt werde: wie der rechte Arzt.
Es giebt ein auszeichnendes Mitleiden, welches außerordentlich entlegene Arten des Leidens erfaßt: es ist zu ehren als Zeichen eines höheren Intellektes, nicht an sich!
Daß wir dem gut sind, der uns Mitleiden bezeugt, ist eine Erbärmlichkeit: wir sollten sagen: seid tapfer, daß mein Leid euch nicht eure freudige Art nimmt: wir sollten wünschen, den Ausblick auf das freudige Element um uns nicht zu verlieren! Aber wir sind Tyrannen!