December 1881 - Januar 1882 16 [1-23]
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Nachwirkung der ältesten Religiosität.— Wir glauben alle steif und fest an Ursache und Wirkung; und manche Philosophen nennen diesen Glauben wegen seiner Steif- und Festigkeit eine “Erkenntniß a priori”—zweifelnd und erwägend, ob nicht hier vielleicht eine Erkenntniß und Weisheit übermenschlicher Herkunft anzunehmen sei: jedenfalls finden sie den Menschen in diesem Punkte unbegreiflich-weise. Nun scheint mir aber die Herkunft dieses unbezwinglichen Glaubens ziemlich durchsichtig und eher ein Gegenstand zum Lachen als zum Stolz-thun. Der Mensch meint, wenn er etwas thut, zum Beispiel einen Schlag ausführt, er sei es, der da schlage, und er habe geschlagen weil er schlagen wollte, kurz, sein Wille sei die Ursache. Er merkt gar nichts von einem Problem daran, sondern das Gefühl des Willens genügt ihm, um die Verknüpfung von Ursache und Wirkung sich verständlich zu machen. Von dem Mechanismus des Geschehens und der hundertfältigen feinen Arbeit, die abgethan werden muß, damit es zu dem Schlage kommt, ebenso von der Unfähigkeit des Willens an sich, auch nur den geringsten Theil dieser Arbeit zu thun, weiß er nichts. Der Wille ist ihm eine magisch wirkende Kraft: der Glaube an den Willen als an die Ursache von Wirkungen ist der Glaube an magisch wirkende Kräfte, an den unmittelbaren Einfluß von Gedanken auf unbewegte oder bewegte Stoffe. Nun hat ursprünglich der Mensch überall, wo er ein Geschehen sah, einen Willen als Ursache gedacht, kurz: persönlich wollende Wesen im Hintergrunde wirkend geglaubt—der Begriff der Mechanik liegt ihm ganz ferne. Weil aber der Mensch ungeheure Zeiten lang nur an Personen geglaubt hat (und nicht an Stoffe, Kräfte, Sachen usw.), ist ihm der Glaube an Ursache und Wirkung zum Grundglauben geworden, den er überall, wo etwas geschieht, anwendet—auch jetzt noch, instinktiv und als ein Stück Atavismus ältester Abkunft. Die Sätze “keine Wirkung ohne Ursache,” “jede Wirkung wieder Ursache” erscheinen als Verallgemeinerungen viel engerer Sätze: “wo gewirkt wird, da ist gewollt worden” “es kann nur auf wollende Wesen gewirkt werden” “es giebt nie ein reines folgenloses Erleiden einer Wirkung, sondern alles Erleiden ist eine Erregung des Willens” (zur That, Abwehr, Rache, Vergeltung)—aber in den Urzeiten der Menschheit waren diese und jene Sätze identisch, die ersten nicht Verallgemeinerungen der zweiten, sondern die zweiten Erläuterungen der ersten: alle auf der Grundlage des Gedankens “Natur ist eine Summe von Personen.” Wäre hingegen der Menschheit die ganze Natur von vornherein als etwas Unpersönliches, folglich Nicht-Wollendes vorgekommen, so würde sich der umgekehrte Glaube—des fieri e nihilo, der Wirkung ohne Ursache—gebildet haben: und vielleicht hätte er dann den Ruf übermenschlicher Weisheit.— Jene “Erkenntniß a priori” ist also keine Erkenntniß, sondern eine eingefleischte Urmythologie aus der Zeit der tiefsten Unkenntniß!