Ende 1883 23 [1-10]
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Eine kleine unschuldige Geschichte, die aber viel Unfug gestiftet hat: ich erzähle sie euch,—den Unfug mögt ihr euch selber erzählen!
Es gab einmal einen Knaben, dem sagte man mit Blicken und Reden: “was dein Vater ist, das ist nicht dein rechter Vater!”
Das verdroß das Kind und machte es nachdenken; und endlich sagte es sich zu seinem Herzen, ganz heimlich: es giebt wohl nichts Schöneres in der Welt als einen rechten Vater?
Und als das Kind beten lernte, war seine erste Bitte “Gott, gieb mir doch einen rechten Vater!”
Das Kind aber wuchs und mit dem Kinde seine heimliche Liebe und sein Gebet: unter Frauen und Priestern erwuchs der Jüngling: —
Ein Jüngling, unter Frauen und Priestern tief geworden und scheu vor der Liebe und noch vor dem Worte “Liebe”
tief geworden und durstig nach dem Thau der Liebe, gleich dem Thymian in der Nacht —
durstig und zitternd vor seinem Durste und der Nacht freund, weil die Nacht voller Scham und duftenden Weihrauchs ist —
Nach dem Weihrauche der Priester duftete selber seine Seele und nach der Unschuld der Frauen: sie schämte sich aber dieses Duftes noch.
Und wie sonst ein Jüngling betend begehrt, daß ein Weib ihn liebe, so begehrte er betend nach der Liebe eines Vaters und schämte sich auch seines Gebetes noch.
Da geschah es, daß sein Gebet einst in lichte Wolken zerfloß und Worte aus lichten Wolken stiegen: “Siehe, das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.”
Ist dies möglich! sprach der Jüngling. Ich der liebe Sohn dessen, den ich eben um einen Vater bat? Gott mein Vater! Ist dies möglich?
Dieser alte allmächtige Stirnrunzler und Lippen-Aufwerfer von Judengotte—ist mein Vater! Kann das möglich sein?
Aber er sagt es selber und log noch nie: was kann ich thun! Ihm muß ich’s glauben!
Bin ich aber sein Sohn, so bin ich Gott: bin ich aber Gott, wie bin ich Mensch?— Es ist nicht möglich—aber ihm muß ich’s glauben!
Der Mensch an mir—das ist wohl nur seiner Liebe Nothdurft: denn wie ich nach dem Vater, so dürstete er wohl nach seinen Kindern.
Daß ich Mensch bin, das ist wohl der Menschen wegen: ich soll sie zu meinem Vater locken —
— sie zur Liebe locken: oh diese Thoren, die man zur Liebe erst noch locken muß!
Sie sollen Gott lieben: das ist eine leichte Lehre und ein Wohlgefallen—ein leichtes Joch wird uns Gottes-Kindern aufgelegt: wir sollen thun, was wir am liebsten thun.
Diese Lehre und Weisheit ist leicht zu fassen: auch die Armen im Geiste dürfen die Hände nach ihr ausstrecken
Manches am Menschen ist wenig göttlich: wenn man Koth läßt, wie soll man dabei Gott sein?
Aber schlimmer noch ist mit dem anderen Kothe, der Sünde heißt: den wollen die Menschen gar noch bei sich behalten und nicht von sich lassen.
Nun aber muß ich’s glauben: man kann Gott sein und doch Koth lassen: so lehre ich sie, ihren Koth lassen und Götter werden.