Ende 1883 23 [1-10]
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Von den Wegen des Erkennenden.
“Wie kamst du, oh Zarathustra zu deiner Weisheit: hast du sie erflogen?—so fragt ihr mich—auf daß wir dir ablernen, wie wir zu unserer Weisheit fliegen möchten?”
Gut fragtet ihr: gut sollt ihr auch belehrt sein. Dem guten Frager ist schon halb geantwortet.
Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit, nicht auf Einer Leiter und Treppe stieg ich zur Höhe, wo meine Augen in meine Ferne schweifen.
Und niemals fragte ich Menschen: ich fragte und versuchte die Wege selber. Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen.
Unter Menschen war ich immer der Gut-Verborgene: ob ich stieg oder flog oder stand und zögerte: sie sahen mich nicht mit ihren Augen.
Sie hörten mich nicht mit ihren Ohren: und oft horchte ich auf Wiederhall aber ich hörte nur—Lob.
Ich sagte es ihnen in’s Ohr, als ich mich in neue furchtbare Meere einschiffte: also verbarg ich’s? Nun aber, als ich vor ihren Augen in neue furchtbare Wüsten wanderte—wer sah mich wandern?
Und wenn ich mit Strickleitern in manches Fenster kletterte, mit hurtigen Beinen manchen Mast erritt: der Gut-Verborgene blieb ich ihnen auch mit meinen Bosheiten und Abenteuern.
Eine boshafte Seligkeit dünkte mich’s oft, auf den höchsten Masten, gleich einer Flamme sitzen: ein kleines Licht zwar, aber doch ein großer Trost für verschlagene Schiffer und Schiffbrüchige.
Eine andere Seligkeit und Bosheit lernte ich, wenn mir ein Thauwind kam: daß mein Strom stieg und stieg und mein Eis sich thürmte—da jauchzte ich.
Genug fand ich der Schwachen und Zärtlichen—sie heißen sich gut und thun auch mit der Tugend zärtlich; genug auch der Heuchler, die den Namen der Gerechtigkeit mißbrauchen.
Die Selbst-Verlogenen hörte ich zu mir reden, denen die Lüge unschuldig auf Herz und Lippe sitzt; auch mancher Schmarotzer drängte sich lüstern um das Mahl meiner Weisheit.