Herbst 1884 - Anfang 1885 30 [1-13]
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Die Nöthigung bei großer Gefahr, sich verständlich zu machen, sei es um sich einander zu helfen oder um sich zu unterwerfen, hat nur vermocht, jene Art Urmenschen einander anzunähern, welche mit ähnlichen Zeichen ähnliche Erlebnisse ausdrücken konnten; waren sie zu verschieden, verstanden sie sich, beim Versuche einer Verständigung durch Zeichen, falsch: so gelang die Annäherung, also endlich die Heerde nicht. Daraus ergiebt sich, daß im Großen und Ganzen die Mittheilbarkeit der Erlebnisse (oder Bedürfnisse oder Erwartungen) eine auswählende, züchtende Gewalt ist: die ähnlicheren Menschen bleiben übrig. Die Nöthigung zu denken, die ganze Bewußtheit, ist erst auf Grund der Nöthigung, sich zu verständigen, hinzugekommen. Erst Zeichen, dann Begriffe, endlich “Vernunft,” im gewöhnlichen Sinn. An sich kann das reichste organische Leben ohne Bewußtsein sein Spiel abspielen: so bald aber sein Dasein an das Mit-Dasein anderer Thiere geknüpft ist, entsteht auch eine Nöthigung zur Bewußtheit. Wie ist diese Bewußtheit möglich? Ich bin fern davon, auf solche Fragen Antworten (d. h. Worte und nicht mehr!) auszudenken; zur rechten Zeit fällt mir der alte Kant ein, welcher einmal sich die Frage stellte: “wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?” Er antwortete endlich, mit wunderbarem “deutschem Tiefsinn”: “durch ein Vermögen dazu.”— Wie kommt es doch, daß das Opium schlafen macht? Jener Arzt bei Molière antwortete: es ist dies die vis soporifica. Auch in jener Kantischen Antwort vom “Vermögen” lag Opium, mindestens vis soporifica: wie viele deutsche “Philosophen” sind darüber eingeschlafen!