Herbst 1884 - Anfang 1885 30 [1-13]
30 [13]
Geburt der Tragödie.
Im Anfang des Jahres 1872 erschien in Deutschland ein Buch, das den befremdlichen Titel führte: “die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik” und nicht bloß durch seinen Titel reichlich Anstoß zu Verwunderung und Neugierde gab. Man erfuhr, daß sein Urheber ein junger Philologe sei, insgleichen daß gegen ihn von Seiten philologischer Handwerker, und vielleicht sogar auf Anregung irgend eines philologischen Schulhauptes und Kuhhirten — — —
— ein unabhängiges selbstgenugsames Buch, dem die Zeichen einer mystischen Seele aufgeschrieben waren, ohne Absicht auf — — —
— voll Jugend und Ungeschick, schwül, übervoll, aussi trop allemand—in dem sich fast entgegengesetzte Begabungen drängten und stießen, auch
— mit einer Geistigkeit, welche auf die Sinne wirkt
— man gesteht sich mit einigem Schauder ein (vorausgesetzt daß man an der Haut empfindlich ist—) daß hier jemand von der unheimlichen Welt der dionysischen Dinge wie aus Erfahrung redet, wie nach großer Nähe und Berührung zurückgekehrt aus dem fremdesten aller Länder, nicht alles sagend, nicht alles verschweigend, unter die Kutte und Kaputze des Gelehrten versteckt und nicht genug versteckt.
und Richard Wagner errieth aus der Tiefe jenes wahrsagerischen Instinktes heraus, der so sehr in Widerspruche zu seiner mangelhaften und zufälligen Bildung stand, daß er jenem verhängnißvollen Menschen begegnet sei, der das Schicksal der deutschen und nicht nur der deutschen Cultur in den Händen habe.