Frühjahr 1876 15 [1-27]
15 [27]
| Die verschiednen Stilarten: |
| A. Stil des Intellekts (unmetrisch) oder “der gefühllose Stil.” |
| B. Stil des Willens | (entweder Prosa oder Poesie— | ||
| ————^——————— | metrisch oder halbrhythmisch) oder | ||
| 1. des µh@l 2. des BVh@l | der Stil des unreinen Denkens. |
Der Stil des Intellekts entsteht spät, immer auf Grundlage des Ethos-Stils. Aber zuerst meist poetisch (das Bild des Individuums bestimmt ihn, der Priester der Seher mit µh@l), später
schlicht-alltäglich (nach dem Vorbild des vornehmen Mannes, der einfach und gewählt spricht). Die Ernüchterung der Denkart muß sich nun überall zeigen, ebenso der Haß gegen das unreine Denken.
Die Schriftsprache entbehrt der Betonung und dadurch eines außerordentlichen Mittels, Verständniß zu erlangen. Sie muß sich also bemühen, dies zu ersetzen: hier ist ein Hauptunterschied der geschriebenen und gesprochenen Rede. Die letztere darf sich auf Betonung verlassen: die Schriftsprache muß übersichtlicher kürzer unzweideutiger sein, ihre größte Mühe ist es aber, die Leidenschaften der Betonung ungefähr nachfühlen zu lassen. Frage: wie hebt man ein Wort heraus, ohne den Ton zu Hülfe zu nehmen (da man keine Tonzeichen hat)? Zweitens: wie hebt man ein Satzglied heraus? Vielfach muß anders geschrieben als gesprochen werden. Deutlichkeit ist Vereinigung von Licht und Schatten.
Lesen Vorlesen Vortragen bedingen drei Arten des Stils. Hier ist Vorlesen die Art, bei der die Stimme am kunstvollsten behandelt werden muß, da sie den Mangel von Gestikulation zu ersetzen [hat], Lesen die Art, wo der Stil am vollkommensten sein muß, weil hier Stimme und Gestikulation als Ausdrucksmittel wegfallen. Natürliche Gattungen könnte man z.B. die Vorlese-Gattung nennen, wenn hier die Gesten wirklich überflüssig wären, also nicht ersetzt zu werden brauchten (hinter einem Vorhang lesen): bei ganz Ruhigem, wo der Körper ruhig bleiben würde, z. B. Geschichte des Herodot. Natürlich wäre die Lese-gattung, wo Modulation der Stimme und Gesten gar nicht in Betracht kämen z. B. bei Mathematik.