Frühjahr-Sommer 1877 22 [1-135]
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Um Mittag, wenn
Der junge Sommer in’s Gebirge steigt,
Da spricht er auch,
Doch sehen wir sein Sprechen nur:
Sein Athem quillt wie eines Wandersmanns
In Winterfrost:
Es geben Eisgebirg und Tann und Quell
Ihm Antwort auch,
Doch sehen wir die Antwort nur.
Denn schneller springt vom Fels herab
Der Sturzbach wie zum Gruss
Und steht als weisse Säule horchend da.
Und dunkler noch und treuer blickt die Tanne
Als sonst sie blickt.
Und zwischen Eis und todtem Graugestein
Blickt plötzlich Leuchten auf:
Wer deutet dir’s?
In todten Mannes Auge
Wird wohl noch einmal Licht:
Sein Kind umschlang ihn harmvoll
Küsst’ ihn.
Da sagt des Auges Leuchten:
“Ich liebe dich”
Und Schneegebirg und Bach und Tann
Sie sagen auch
Zum Sommerknaben nur
Dies Eine Wort:
Wir lieben dich!
Wir lieben dich!
Und er—er küsst sie harmvoll,
Inbrünstiger stets
Und will nicht gehn:
Er bläst sein Wort wie Schleier nur
Von seinem Mund—ein schlimmes Wort. —
Da horcht es rings
Und athmet kaum:
Da überläuft es schaudernd wie
Ein Glitzern am Gebirg
Rings die Natur:
Sie denkt und schweigt. —
Um Mittag war’s
Mein Gruss ist Abschied
Ich sterbe jung. —