Frühjahr 1880 3 [1-100]
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161. Inwiefern hat die Moral schädlich gewirkt? Insofern sie den Körper verachtete, im Asketismus der Pflicht, des Muthes, des Fleißes, der Treue usw. Namentlich in jenem mit Religion verquickten Kanon, daß Sich-Freuden-bereiten der Gottheit unangenehm, Sich-Leiden-bereiten ihr angenehm sei. Man lehrte, zu leiden, man rieth ab, sich zu freuen,—in allen Moralen (die des Epikur ausgenommen), das heißt die Moral war bisher ein Mittel, die physiologische Grundlage des Menschen in ihrer Entwicklung zu stören—an der Schwäche der Moral lag es, daß sie diese Grundlage nicht zerstört hat; sie war ein furchtbarer Würfel im großen Würfelspiel.— Wir müssen das Gewissen verlernen, wie wir es gelernt haben.— Im Ganzen war die große erhaltende Kraft, welche gegen die Moral das Übergewicht behauptete, das, was sie das Böse nannten, das Streben des Individuums, sich ohne Rücksicht auf Lehren selbst zu behaupten, sich wohl zu fühlen, sein Vergnügen zu suchen, die näheren Bedürfnisse den entfernteren unterzuordnen, während die Moral diese nicht nur als höhere und niedere Bedürfnisse unterscheidet, sondern die letzteren verachten und oft verdammen lehrt (die sogenannten sinnlichen Freuden). [Vgl. Herbert Spencer, Die Thatsachen der Ethik. Autor. dt. Ausg. nach der zweiten engl. Aufl. übers. von Benjamin Vetter. Stuttgart: Schweizerbart, 1879:31.]