Sommer 1880 4 [101-200]
4 [104]
Wir haben nur gegen uns selber wahr zu sein: gegen Andere es zu sein ist Aufopferung, und nur in dem Falle, daß dazu der natürliche Hang in uns ist, ist auch die Wahrheit gegen Andere ein Gebot der Natur, das befriedigt werden will.— Gegen uns selber ist es Selbsterhaltung z. B. unsere physischen Kräfte müssen wir uns richtig vorstellen. Uns im Geistigen einen Sprung zumuthen, zu dem unsere Beine nicht reichen, ebenso im Moralischen ist Anlaß zu Beinbrüchen und den schwersten Schmerzen; unsere Moralität hat das Maaß ihrer Idealität an dem Maaße der uns möglichen Kraft, vorausgesetzt daß wir diese steigern können. Alles Wachsthum muß allmählich, nicht sprungweise geschehen.— Wie viel Elend ist in der Welt, dadurch daß man an sich den Maaßstab einer unmöglichen Moralität legt! Man schämt sich doch nicht, wenn man nicht wie ein Läufer zu laufen vermag: aber in moralischen Dingen sind wir so kindisch, das Fehlen der natürlichen Bedingungen sich zur Schuld und Schande anzurechnen! Als ob wir unser Werk wären! Dies ist auch wirklich die Hypothese, auf der jenes Schamgefühl wuchs.