Herbst 1881 14 [1-26]
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Der Stolze haßt es zu zittern und nimmt Rache an dem, der ihn zittern gemacht hat: dies ist der Grund seiner Grausamkeit. Er hat die größte Lust, den vor sich zu sehen, vor dem er nun nicht mehr zittert, ob er ihm schon das Schmählichste und Schmerzhafteste anthut.— Der Stolze gesteht sich das nicht ein, was ihm drückend ist, so lange er nicht die Möglichkeit sieht, Rache für diesen Druck zu nehmen. Sein Haß schießt im Augenblick hervor, wenn diese Möglichkeit ihm zu Gesichte kommt. Alle Starken, die sich selber brechen und einem Gesetze unterwerfen, sind grausam: früher machte es ihnen einen ähnlichen Genuß, den Willen Anderer zu brechen und den Thon nach ihrem Willen zu kneten. Alle Verkannten, Zurückgesetzten, Gelangweilten sind grausam, denn ihr Stolz ist immer gereizt. Auch alle Schwachen sind grausam, und gerade darin, daß sie Mitleiden bei den Anderen wollen. Das heißt: sie fordern, daß auch die Anderen leiden, wenn sie leiden und schwach sind. Daher ist es nur das halbe Unglück socios habuisse malorum [Vgl. Spinoza: Ethica IV, 57: "unde illud proverbium natum: solamen miseris socios habuisse malorum."]. Endlich: wie grausam sind alle Künstler, denn sie wollen mit allen Mitteln, daß ihre Erlebnisse Gewalt üben und bekommen, daß ihre Leiden zu unseren Leiden werden! Und gar die Bußprediger, welche darin ihren dämonischen Stachel und Reiz spüren, daß sie die große Macht öffentlich verachten, daß sie die Hochmächtigsten wie die Niedrigsten zur gleichen Zerknirschung und Abstinenz treiben wollen—das ist eine Grausamkeit des Stolzes ohne Gleichen! Kurz die Menschen haben viel Genuß an der Grausamkeit, sie ist das üblichste aller Vergnügen, so sehr auch der “Grausame” gelästert wird!