Herbst 1881 14 [1-26]
14 [21]
Oh über diesen neuen Ehrgeiz der Gegenwärtigen! Es ist unter ihren Künstlern das Zeitalter der nachgeahmten Originalität und namentlich der nachgeahmten Leidenschaften: sie haben nämlich die alte Furcht vor dem Auslande, man möchte ihnen nicht genug Leidenschaft und überhaupt nicht die Leidenschaften zutrauen, deshalb machen sie sofort Grimassen und Ausschweifungen in Ton und Gebärde, nicht aus der Stärke ihres Affektes heraus, sondern um sich Glauben an [die] Stärke ihres Affektes zu schaffen. Ihre Theaterfiguren wie die Gestalten auf ihren Gemälden laufen den Leidenschaften so nach, daß man jeden für toll halten würde, der es so im Leben machte. Es steht zu befürchten, daß diese öffentliche Schule auch die D[eutschen] dahin treibt, sich im Leben z. B. in der Politik wie toll zu gebärden. Ihre ehemaligen Neigungen zum Behaglichen und Gemüthlichen machen ihnen jetzt Scham; sie argwöhnen, daß man sich mit solchen Neigungen zur Mittelmäßigkeit des Geistes verurtheilt habe und unfähig sei, in großen Dingen mitzureden z. B. über die Frage des Glücks. Man will jetzt nicht das Glück selber, aber man will jedenfalls den Stolz, zu den letzten Richtern und Meßkünstlern des Glücks zu gehören—man hat den Ehrgeiz des Geistes und der Leidenschaft zugleich. So zum Beispiele in Betreff des Glücks der Liebe: daraus machen die deutschen Künstler jetzt ein vampyrisches Gebilde: ihre “Liebe” will im Glück die ganze Welt ausstechen, austrinken und gleichsam trocken zurücklassen: und wenn ihr dies nicht gelingt, so will sie wenigstens an allem, was noch von Glück sonst übrig bleibt, Rache nehmen. Aber dies ist die Liebe im Irrenhause—oder sie gehört ins Irrenhaus: oder sie macht ein Irrenhaus.—