Ende 1883 22 [1-8]
22 [3]
Es ist verrätherisch, nach Größe streben: wer sie hat, strebt nach Güte.
Die tiefste Liebe weiß nicht sich einen Namen zu geben und fragt sich wohl: “Bin ich nicht Haß?”—Wenn man einmal — — —
Machen wir es nicht im Wachen wie im Traume? Immer erfinden und erdichten wir erst den Menschen, mit dem wir verkehren—und einen Augenblick nachher schon haben wir das vergessen.
Wann werden Mann und Weib aufhören, sich mißzuverstehen? Ihre Leidenschaften gehen einen verschiedenen Schritt,—sie messen die Zeit nach anderem Maße.
Von sich absehen lernen ist nöthig, um weit zu sehen.
Und wer an sein Leben nach dem Tode glaubt, lernte gewiß auch, im Leben todt zu sein.
Der Gläubige haßt am besten nicht den freien Geist, sondern den neuen Geist, der einen neuen Glauben hat.
Schwere, schwermüthige Menschen werden durch Haß und Liebe leichter: sie kommen da an ihre Oberfläche.
Die Sache klärt sich auf: nun geht sie uns nichts mehr an. Hüte dich, daß du über dich selber nicht zu aufgeklärt wirst!
Mitleid mit dem ganzen Geschlecht—das führt zur Härte mit jedem Einzelnen.
Die fürchterlichen Erlebnisse suchen sich die Fürchterlichen.
Auch ich bin Erz vom ehernen Schicksale: so empfand ich immer, wenn ihr das Schicksal nanntet.
Er hat seinen eignen Gott für sich: aber seit ich den sah, fand ich in ihm nur den Affen seines Gottes.
Es giebt einen Grad von eingefleischter Verlogenheit, den nennt man “das gute Gewissen.”
Sie laufen dem nach, der ihnen einredet, sie hätten den Weg verloren. Es schmeichelt sie, zu hören, daß sie einen Weg hatten.
Die großen Gedanken, die aus dem Herzen und die kleinen, die aus dem Kopfe kommen—schlecht gedacht sind sie Beide.
Du willst nach deinen Absichten bemessen sein und nicht nach deinen Wirkungen? Aber woher hast du denn deine Absichten? Aus deinen Wirkungen!
Wer den Weg zu seinem Ziele nicht zu finden wußte, lebt frecher und leichtsinniger als der, welcher gar kein Ziel hat: er will seinen Verlust verscherzen und verschmerzen.
Die Gefahr des Weisen ist, sich in die Thorheit zu vernarren.
Er opfert sich, aber nicht aus Mitleiden, sondern aus Reichthum: er giebt ab, er giebt sich ab!
Der Teufel, der ein Freund der Erkenntniß, hält sich von Gott fern: erst aus der Ferne hat man den Blick für Götter.
Die Liebe bringt Hohes und Seltenes, was in einem Menschen ist, ans Licht: insofern verschönert sie—sie täuscht über ihn (ihn selber am meisten!) Aber gieb Acht, was geschieht, wenn Einer sich geliebt weiß, aber nicht liebt: da verräth eine Seele selbst ihren Bodensatz.
Nicht nur die Heerde, auch der Hirt hat einen Leithammel nöthig.
Warum so abseits?— Ich finde Niemanden mehr, dem ich gehorchen könnte und Niemanden auch, dem ich befehlen möchte.
Ein Elephant, der versucht auf seinem Kopf zu stehen.
Ihr meint, Alles sei gethan, wenn ihr den Blitz unschädlich gemacht habt? Aber ich will, daß er für mich arbeite.— So denke ich über alles Böse in dir und mir.
Die Unschuld in der Lüge ist das Zeichen des guten Glaubens an eine Sache.
Man liebt immer nur seine Begierde und nicht das Begehrte.
Im Dunkeln fühlt man die Zeit anders als im Hellen.
Und wo ich der Krämer lange Finger sehe, ziehe ich’s vor, den Kürzeren zu ziehn.
Da liegt die schwarze traurige See—auch darüber mußt du hinweg! Zarathustra 3.
Eingedrückte Häuser, blödsinnig gleich einem Kinder-Spielzeug: daß sie ein Kind doch wieder in die Schachtel steckte!—eingedrückte Seelen
Vertraulich und offensinnig, aber niedrig gleich Thüren, die nur Niederes einlassen.
Verdorben durch viele kleine Erfolge—immer hat er leichtes Spiel gehabt: er hat den besten Ernst nicht kennen gelernt.
Die Menschen müssen böser werden—dies ist das größte Leid des Erkennenden! Und wer höhere Menschen Schaffen will, muß sie auch böser machen—das ist das Leiden des Schaffenden und Gütigen!
Oh Zarathustra Fürsprecher des Lebens! Du mußt auch Fürsprecher des Leidens sein! Ich kann dir die Hölle nicht erlassen—die Unterwelt muß wider dich aufstehn, die Schatten müssen noch Zeugniß ablegen: “Leben ist Folterung.”
Ein lüsternes Auge—die Zukost zu einer gallichten Seele
Wenn sich die große Stadt selber aufs Land trägt, so bringt sie nicht Dünger dem Lande, sondern Fäulniß und Greuel.
Wo hörte ich den belehrt und erzogen, der einst befehlen soll? Mit den Lehren des Gehorsams mußte er sich bei den Gehorchenden einschmeicheln und einheucheln.
Eure Tugenden passen euch nicht auf den Leib: eures Leibes Krankheiten verklagen eure Tugenden, deren ihr euch brüstet.
An öffentlichen Meinungen krank wie an öffentlichen Mädchen: und das gerade sind eure heimlichsten Krankheiten.
Es ist eine große Heuchelei unter euch: die welche befehlen, heucheln die Tugenden der Gehorchenden.
Ich suche zu überreden, wo ich befehlen sollte: das will meine schlechte Erziehung. Solch Überreden ist nicht besser als Schmeicheln—hier schmeichelt der Höhere dem Niederen.
Wenn Alles nach unserem Willen geht, geht es auch nach unserem Wunsche.
Alles Vergangene ist eine Schrift mit hundert Sinnen und Deutungen und wahrlich! ein Weg zu vielen Zukünften! wer aber der Zukunft Einen Sinn giebt, der bestimmt auch die Eine Deutung des Vergangenen.
“Es ist noch nicht Zeit für mich, Narr zu sein” sagt Zarathustra, als der Narr sagt: “Wirf Alles von dir, tanze und sei menschlich gegen dich und uns!”
Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken, des Anderen Einsamkeit die Flucht vor dem Kranken.
Diese machen das Volk wahnsinnig und strotzend, so daß das Gefäß überläuft—sie dienen dem Tyrannen: und jene machen, daß der Tyrann strotzt und springt und platzt—so dienen sie dem Volke.
Dieser lacht wie ein Blitz—aber hinterdrein grollt er wie ein langer Donner.
Vergnügte Säue oder sterbende Fechter—habt ihr keine andere Wahl?
Die Todtengräber graben sich Krankheiten an; unter altem Schutte ruhn schlimme Dünste. Man soll den Morast nicht aufrühren.
Er ahmt sich selber nach—das ist seine zweite Kindheit.
Das Mitleiden des Größten ist hart, gleich dem Händedruck eines Riesen.
Klagt nicht die Sonne: ich wollte ihnen Licht sein, aber ich stach ihnen die Augen aus—ich habe sie geblendet!
“Wie komme ich durch das Stadtthor? Ich verlernte es, unter Zwergen zu leben.”
Das Größte an den Großen ist das Mütterliche.— Der Vater—das ist immer nur ein Zufall.
Meine Raserei noch ist mir gehorsam.
Unterhalb meiner Gipfel und meines Schnees finde ich alle Gürtel des Lebendigen
und nicht immer kommen die Kindlein zu dem, der sie kommen läßt.
Ihr hustet und meint, das sei ein Einwand gegen starke Winde.
“Wir wollen essen” brüllt ihr: euer Bauch setzt dazu “Viel!,” euer lüsternes Auge: “Gut!”
Was ist aller gemeinen Dinge Gemeinstes? Ein Schluß, aller Schlüsse ältester und jüngster Schluß: “Es thut weh, also ist es schlecht.”
Seit ich dies “also” verstand und diesen Ursprung des Schlechten, lache ich über all euer “Gut und Schlecht”! Jenseits eures “Gut und Schlecht” tönt mein Gelächter.
Den Mann versteckt die Schönheit.
Glatt und hart zu werden muß man in’s Gedränge hinein, aber seine heimliche Einsamkeit mit nehmen.
Wie Samen des Lebens ausgeworfen von Stern zu Stern?
Furchtbarer Dithyramb des Lebens in Zarathustra 4.
Lasset den Zufall zu mir kommen! Er ist unschuldig wie ein Kindlein.
Den Zufall überlisten und an der Hand führen.
Nur wer weiß, wohin er fährt, weiß auch, was sein Fahrwind ist.
Zwei neue Tugenden—die weise Vergeßlichkeit und die Kunst, die Segel nach dem Wind zu stellen.
Die Weiber vermännlichen sich: es giebt der Männer zu wenig.
In der Leutseligkeit ist viel Menschenverachtung, aber nichts von Menschenhaß und -Liebe.
Wenn der Teufel sich häutet, fällt auch sein Name mit ab.
Der Gewissensbiß ein Gottesbiß und wenn dieser Gott ein Gott der Liebe ist—ein Biß aus Liebe?
Ich sehe ihren Stern, und bin entzückt: aber nun meinen sie gar, es sei mein Stern.
Hört nicht, was sie sagen—aber seht ihr Maulwerk an! Mit der Zunge lügen sie vielleicht, mit dem Munde sagen sie doch die Wahrheit!
Und wozu ist alle Natur geschaffen, wenn nicht dazu, daß ich Zeichen habe, mit denen ich zu den Seelen reden kann!vNun ist Alles wohlgethan! Denn jetzt tragen die Krämer Säbel und Schnauzbärte, und selber das Regiment ist zu den Krummbeinigen kommen.
Das ist die schwarze traurige See, gleich meinem eignen Schicksale liegt sie vor mir —
Ach diese Schwangere nächtliche Verdrossenheit! Ein offenes Auge, aber noch schlaftrunken und fremd noch ist sein Blick nach mir darin.
Mit warmem Athem athmet das Meer mich an, gleich meinem Schicksale, und windet sich auf seinen Klippen-Kopfkissen, es stöhnt wie vor bösen Erwartungen —
Ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer und mir selber noch gram um deinetwillen. Ach daß ich nicht Stärke genug habe, dich von bösen Träumen zu lösen! —
Was thust du Zarathustra? Willst du dem Meere Trost singen? Wurdest du schon deiner eigenen Zukunft ein mitleidiger Zu- und Vorschauer?
Was thust du, liebreicher Narr, du Vertrauensüberseliger? Aber immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren, jedes Ungethüm wolltest du noch streicheln.
Ein Hauch warmen Athems, ein wenig weiches Gezottel an der Tatze:—und schon quollen Locktöne aus deiner Flöte, sehnsüchtig nahtest du immer allem Lebendigen!
Nun sollst du mir dies Ungeheuer kennen lernen!
Besser, du traust deinem Schicksale, wenn es wie ein Meer aus 1000 Mäulern brüllt, besser noch seine Zähne fletschen gegen dich im Sturme, als solche Schwangere nächtliche Verdrossenheit.
Nichts Böseres giebt es als ein schlafendes Meer und ein Schwangeres Schicksal: wie willst du über diese schwarze Fluth hinweg, wenn du nicht böser und schwärzer sein willst als sie?
Was dir auch nun noch begegne, das kommt dir als dein Schicksal: die Zeit ist abgelaufen, wo dir auch noch ein Zufall begegnen konnte!
Wenn du nicht beten kannst, warum fluchst du nicht wenigstens?
Ich fürchte dich, weil du lachst, während wir um das Leben ringen—du siehst aus, wie Einer, der seines Lebens gewiß ist.
Seines Lebens oder seines Sterbens—sagte Zarathustra.
Und wenn wir davonkommen, will ich sagen: “es ist kein Gott, und Zarathustra hat michs gelehrt.”
Ich vergebe dir dein Mißtrauen, ich gebe dir aber keinen Heller für dein Zutrauen.
Du glaubst noch an Wunder und Wundermänner, die rechte Noth würde dich auch noch beten lehren. Die alten Falschmünzer des Geistes haben auch deinen Verstand Falsch gemünzt —
Es ekelt mich, noch bin ich kaum 3 Tage fern von — — —
Heiterkeit als der heimliche Vorgenuß des Todes—es enthebt uns der großen Bürde unserer Aufgabe.
Zarathustra: Woher kommt Zarathustra? Wer ist ihm Vater und Mutter? “Schicksal und Lachen sind Zarathustra’s Vater und Mutter; das grause Schicksal und das liebliche Lachen erzeugten sich zusammen solchen Sprößling.”
Der Himmel steht in Flammen, das Meer speit nach ihm
eine kleine verkrochne Gemeinde und Dunst und Dünkel aller Betbruderei