Sommer 1883 12 [1-49]
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Ich will nicht vermischt und verwechselt sein
Es giebt solche, die predigen meine Lehre vom Leben: aber zugleich sind sie Prediger der Gleichheit: mit denen will ich nicht vermischt und verwechselt sein
Die Menschen sind nicht gleich: so redet die Gerechtigkeit. Solches sage ich euch zum andern Male.
Das Leben aber, als es mir sein Gesetz im Geheimsten kündete, das fügte hinzu: “und die Menschen sollen auch nicht gleich sein!”
Immer ungleicher sollen sich die Menschen werden—um des Übermenschen willen!—also will es meine Liebe selber!
Wovon der Vater schwieg, das kommt im Sohn zur Rede. Und oft ist der Sohn nur der enthüllte Wahnsinn des Vaters.
Ein vergrämter Dünkel, ein verhaltener Neid: im Sohn kommt’s als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.
Das heiße mir Gerechtigkeit—so sagt dieser Wahnsinn—daß ich Rache übe und Beschimpfung an Allen, die mir nicht gleich sind.
Und “Wille zur Gleichheit”—das soll der Name für Tugend werden: mein Tugend-Geschrei erhebe sich gegen Alles, was Macht hat!
Er predigt Leben, um denen wehezuthun, die sich selber vom Leben abkehren: denn sie sind mächtiger als er und reineren Herzens.
Aber vom Leben abgekehrt sitzt er selber in seiner Höhle:
und nicht heiße ich‘s Leben, der Spinne gleich Netze stricken und Fliegen fressen.
Zu heftig strömt immer sein Quell der Rache: und er leert immer zugleich den Becher, indem er ihn füllen will.
Diese Höflichkeit soll auch noch in der Rede sein: der, welcher befehlen könnte, birgt seine königlichen Hände unter dem Mantel, er überredet durch seine Schönheit, statt zu befehlen.
“Alles an der Welt mißfällt mir: so denkt er—am meisten aber, daß ich Allen mißfalle.” Darum redet er von der Zukunft.
Zuletzt:
Er geht wider meinen Geschmack: dies ist mein bester Grund, mit dem ich gegen ihn streite.
Über den Geschmack sei nicht zu streiten? Oh ihr Thoren, alles Leben ist Streit um Schmecken und Geschmack und muß es sein.
Und ich selber, meine thörichten Freunde!—was bin ich denn, wenn ich nicht das bin, worüber zu streiten ist: ein Geschmack!
Im Bauche des Wallfisches sitzt dieser Verkünder des Lebens: der Wallfisch, gegen den er predigt, der hält ihn verschluckt.
Ich will seine Heimlichkeiten ans Licht bringen: dann lache ich ihm ins neidische Antlitz mein Gelächter der Höhe.
Nicht mit schlangenhaarigem Schrecken will ich mich gegen eure Lehre wehren, ihr Prediger der Gleichheit: allein durch mein Schild Schönheit schütze ich mich vor euch!
Das liebe ich am Winde, daß er unsichtbar ist: und so nur möchte ich sichtbar werden, wie eine Flamme an den Masten sichtbar wird:—mit Staunen sehen einsame Schiffende das gute Zeichen
Er möchte, daß man ihn für einen Gott hielte: aber dazu müßte er sein Gesicht verbergen und sich in den Schleier der Isis hüllen.
Aber ich sage euch: wer von seiner Zeit angefeindet wird, der ist noch nicht weit genug über sie hinaus.
Der Tyrannen-Wille schreit aus ihm nach Gleichheit: eine Tyrannen-Lüge und Verführung ist sein Wort “Gleichheit”
Daß der Mensch erlöst werde von der Rache—das, wahrlich, ist der Regenbogen des Übermenschen und eine Brücke zur höchsten Hoffnung.