Sommer 1887 8 [1-8]
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zu “homines religiosi”
Was bedeuten asketische Ideale?
Vorform der noch neuen contemplativen Lebensweise, extrem, um Respekt zu finden und sich selbst Respekt zu machen (gegen das “schlechte Gewissen” der Inaktivität) deren Bedingungen werden gesucht
ein Sinn für Reinlichkeit der Seele, barock ausgedrückt
ein Zuchthäusler-Zustand (eine Menge Delikatessen sich vorbereitend), als Remedur für eine überwilde Begehrlichkeit (welche den “Verleitungen” aus dem Wege geht)—als Haß gegen Sinne, Leben sich äußernd.
eine Verarmung des Lebens, ein Bedürfniß nach Indolenz, Ruhe. Kunstgriff des Fakirs. “Alter”
eine krankhafte Verletzlichkeit, Empfindsamkeit, etwas Alt-Jüngferliches, das dem Leben aus dem Wege geht: mitunter eine falsch geleitete Erotik und Hysterie der “Liebe”
Kritik der Demuth (“der absolute Gehorsam”) mitunter der Instinkt der Macht, nach absoluten “Werkzeugen” zu suchen oder als Werkzeug am meisten zu erreichen. Die Klugheit daran, die Faulheit (ebenso wie in Armut und Keuschheit)
Kritik der Armuth (die scheinbare Verzichtleistung und die Concurrenz, als Klugheitsmittel auf dem Wege zur Herrschaft.
Kritik der Keuschheit. Nützlichkeit: sie giebt Zeit, Unabhängigkeit—intellekt[uelle] Verwöhnung, die es unter Weibchen nicht aushält—Familien sind große Schwatznester. [Sie] erhält Kraft, hält manche Krankheit fern. Freiheit von Weib und Kind hält eine Menge Versuchungen fern (Luxus, Servilität gegen Macht, Einordnung
Ein Mensch in dem sich die geheimnißreiche Vielheit und Fülle der Natur auswirkt, eine Synthesis des Furchtbaren und des Entzückenden, etwas Versprechendes, etwas Mehr-Wissendes, etwas Mehr-könnendes. Das asketische Ideal drückt immer ein Mißrathen aus, eine Entbehrung, einen physiologischen Widerspruch. Es macht nachdenklich, daß eigentlich nur diese Asketen-Species Priester den gegenwärtigen Menschen noch bekannt ist: es ist ein Ausdruck von Entartung und Mißrathensein des Menschen überhaupt.— Und wie wir von romantischen Künstlern reden, so dürfte man sagen, daß uns eigentlich nur der romantische Priester bekannt ist—daß an sich der klassische Priester möglich ist, daß er wahrscheinlich auch dagewesen ist. Stelle man sich mit dieser Möglichkeit eines kl[assischen] Pr[iesters] vor Plato im museo Borbonico Neapels: die Archäologen sind ungewiß, ob es nicht ein bärtiger Dionysos sei. Das soll uns gleichgültig sein: gewiß ist, daß man hier einen priesterlichen Typus voraussetzt,—keinen asketischen Typus ...
Der Priester des Christenthums repräsentirt die Widernatur, die Macht der Weisheit und der Güte, aber die widernatürliche Macht und die widernatürliche Weisheit, die widernatürliche Güte: die Feindschaft gegen die Macht, die Erkenntniß und die — — —
die Macht als Wunder-Macht
die Weisheit als Wider-Vernunft
die Liebe als Wider-Geschlechtlichkeit
der Haß gegen die Mächtigen der Erde und ein versteckter grundsätzlicher Wettkampf und Wettstreit—man will die Seele, man läßt ihnen den Leib —
der Haß gegen den Geist, den Stolz, den Muth, die Freiheit, Ausgelassenheit des Geistes
der Haß gegen die Sinne, gegen die Freuden der Sinne, gegen die Freude überhaupt und eine Todfeindschaft gegen die Sinnlichkeit und Geschlechtlichkeit
das christliche Priesterthum hat es auf dem Gewissen—der verleumderische und schnöde Wille zum Mißverständniß mit dem der Geschlechtlichkeit in den Culten und Mysterien von den Anfängen ...
der christliche Priester ist von Anfang an der Todfeind der Sinnlichkeit: man kann sich keinen größeren Gegensatz denken, als die unschuldig ahnungsvolle und feierliche Haltung, mit der z.B. in den ehrwürdigsten Frauenkulten Athens die Gegenwart der geschlechtlichen Symbole [empfunden wurde]. Der Akt der Zeugung ist das Geheimniß an sich in allen nicht-asketischen Religionen: eine Art Symbol der Vollendung und der geheimnißvollen Absicht, der Zukunft (Wiedergeburt, Unsterblichkeit