Sommer 1887 8 [1-8]
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Die Guten und die Verbesserer.
Der Haß gegen die Leiblich- und Seelisch-Privilegirten: Aufstand der häßlichen mißrathenen Seelen gegen die schönen stolzen wohlgemuthen
ihr Mittel: Verdächtigung der Schönheit, des Stolzes, der Freude
| das Widernatürliche als das Höhere | ì ï í ï î | “es giebt kein Verdienst” “die Gefahr ist ungeheuer: man soll zittern und sich schlecht befinden” “die Natürlichkeit ist böse; der Natur widerstreben ist das Rechte. Auch der “Vernunft.” |
wieder sind es die Priester, die diesen Zustand ausbeuten und das “Volk” für sich gewinnen. “Der Sünder,” an dem Gott mehr Freude hat als am “Gerechten”
dies ist der Kampf gegen das “Heidenthum” (der Gewissensbiß als Mittel, die seelische Harmonie zu zerstören)
Der Haß der Durchschnittlichen gegen die Ausnahmen, der Heerde gegen die Unabhängigen
| die Sitte als eigentliche “Sittlichkeit” | ì í ï î | Wendung gegen den “Egoismus”: Werth hat allein das “dem Anderen” “wir sind alle gleich” gegen die Herrschsucht, gegen “Herrschen” überhaupt |
| gegen das Vorrecht gegen Sektirer, Freigeister, Skeptiker gegen die Philosophie (als dem Werkzeug- und Ecken-Instinkt entgegen) bei Philosophen selbst “der kategorische Imperativ,” das Wesen des Moralischen “allgemein und überall” |
Die drei Behauptungen:
das Unvornehme ist das Höhere (Protest des “gemeinen Mannes”)
das Widernatürliche ist das Höhere (Protest der Schlechtweggekommenen)
das Durchschnittliche ist das Höhere (Protest der Heerde, der “Mittleren”)
In der Geschichte der Moral drückt sich also ein Wille zur Macht aus, durch den
| bald die Sklaven und Unterdrückten, bald die Mißrathenen und An-sich-Leidenden bald die Mittelmäßigen | ü ú ú ý ú ú þ | den Versuch machen, die ihnen günstigsten Werthurtheile durchzusetzen. |
Insofern ist das Phänomen der Moral vom Standpunkt der Biologie aus höchst bedenklich. Die Moral hat sich bisher entwickelt auf Unkosten:
| ì í î | der Herrschenden und ihrer spezifischen Instinkte der Wohlgerathenen und schönen Naturen der Unabhängigen und Privilegirten in irgend einem Sinne |
Die Moral ist also eine Gegenbewegung gegen die Bemühungen der Natur, es zu einem höheren Typus zu bringen. Ihre Wirkung ist:
Mißtrauen gegen das Leben überhaupt (insofern dessen Tendenzen als “unmoralisch” empfunden werden Sinnlosigkeit, insofern die obersten Werthe als im Gegensatz zu den obersten Instinkten empfunden werden—Widersinn.
Entartung und Selbstzerstörung der “höheren Naturen,” weil gerade in ihnen der Conflikt bewußt wird.
Sklavenaufstand in der Moral: das Ressentiment schöpferisch. Die Zerdrückten, Niedergetretenen, denen die eigentliche Reaktion versagt ist.
Folglich: ein negativer Werth zuerst (umgekehrt als bei der vornehmen Moral, die aus dem Gefühl eines triumphirenden Ja-sagens zu sich selbst entspringt).
“der Böse” (eigentlich der Starke)
Methode der Verleumdung der aristokratischen Werthe: (Stolz, Schönheit, Glück, Heiterkeit, Sinnlichkeit, Reichthum
mit Hülfe des 1) Nicht-sehen-wollens 2) des Falsch-sehen-wollens 3) des Hinein-sehen-wollens.
Umkehrung: Versuch, das ressentiment selbst als Tugend auszulegen (Gerechtigkeits-Sinn)
die thatsächliche ängstliche Niedrigkeit als “Demuth”
das Inoffensive, die “Feigheit,” das Warten als “Geduld” als “Güte,” als “Liebe der Feinde,” als “Menschenliebe” auch als “Gehorsam gegen Gott,” der der “Obrigkeit” zu gehorchen befiehlt
den Wunsch nach Rache als “Siege Gottes über seine Feinde” insgleichen die Grausamkeit beim Anblick einer Niederlage als “Triumph über Gottes Gerechtigkeit”
ihr Elend als Prüfung, Vorbereitung der “Auserwählten,” Auszeichnung, selbst als Klugheit (“damit reichlicher einst vergolten wird”)
das Leben in der “Hoffnung,” in der “Liebe,” im “Glauben” (an einen Gott der Armen und Gedrückten)
die Ehre der Armut als “Gottesdienst”
Versuch, in summa, mit sich zufrieden zu sein und sich zu überreden, daß “man nicht nur besser sei,” sondern auch “es besser habe.” Die “Guten,” eigentlich die Schwachen.
— Tiefste Unehrlichkeit und Verlogenheit dabei. —
Die Verinnerlichung des Menschen (als Krankheit)
Die V[erinnerlichung] entsteht [dadurch], daß mächtige Triebe, denen mit Einrichtung des Friedens und der Gesellschaft die Entladung nach außen versagt wird, sich nach innen zu schadlos zu halten suchen, im Bunde mit der Imagination. Das Bedürfniß nach Feindschaft, Grausamkeit, Rache, Gewaltsamkeit wendet sich zurück, “tritt zurück”; im Erkennen-wollen ist Habsucht und Erobern; im Künstler tritt die zurückgetretene Verstellungs- und Lügenkraft auf; die Triebe werden zu Dämonen umgeschaffen, mit denen es Kampf giebt usw.
Die Bewußtheit als Krankheit
Der Mensch sich immer wieder in Lagen versetzend, für die er noch keinen Instinkt hat: also zeitweilig experimentirend und auf Grund von “Schlüssen” handelnd, nicht von Instinkten. “Rationalistische” Ereignisse z.B. die französische Revolution.
Das schlechte Gewissen dem Neuen anhaftend
z.B. der Ehe
den milden mitleidigen vergeberischen Gefühlen (lange mit Selbstvernichtung verknüpft)
dem Willen zur Forschung (als wider die Autorität gerichtet)
den großen Natur-Überwältigungen (als Gottlosigkeiten)
dem Frieden
dem Handelsmann, dem Zöllner
bei den vornehmen Geschlechtern, die auf Rache verzichten, der obersten Gewalt gegenüber.
also das “Rechtsbewußtsein” mit dem schlechten Gewissen verschwistert