Herbst 1873 - Winter 1873-74 31 [1-11]
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Manche Dinge werden erst dauerhaft, wenn sie schwach geworden sind — bis dahin bedroht sie die Gefahr eines plötzlichen und gewaltsamen Unterganges. Die Gesundheit im Greisenalter wird immer gesünder. Das Christenthum z. B. wird jetzt so fleissig vertheidigt und wird lange Zeit fortvertheidigt werden, weil es die bequemste Religion geworden ist. Jetzt hat es fast Aussicht auf Unvergänglichkeit, nachdem es die langwierigste Sache der Welt, die menschliche Faulheit und Bequemlichkeit auf seine Seite gebracht hat. So hat auch die Philosophie ihre grösste Schätzung und ihre zahlreichsten Vertreter gerade jetzt: denn sie quält die Leute nicht mehr, ja viele werden von ihr unterhalten und alle dürfen ihren Mund aufthun, ohne alle Gefahr, und los schwätzen. Die heftigen und starken Dinge sind in Gefahr plötzlich zu verderben, geknickt und vom Blitz getroffen zu werden. Den Vollblütigen fasst der Schlagfluss. Unsere heutige Philosophie stirbt gewiss nicht am Schlagflusse. Besonders seitdem die Philosophie eine historische Disciplin ist, hat sie sich die Unschädlichkeit und damit die Unvergänglichkeit gewährleistet.