Herbst 1873 - Winter 1873-74 31 [1-11]
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Zur Zeitschilderung.
In Betreff der Religion bemerke ich eine Ermüdung, man ist an den bedeutenden Symbolen endlich müde und erschöpft. Alle Möglichkeiten des christlichen Lebens, die ernstesten und lässigsten, die harm- und gedankenlosesten und die reflectirtesten, sind durchprobirt, es ist Zeit zur Erfindung von etwas Neuem oder man muss immer wieder in den alten Kreislauf gerathen: freilich ist es schwer, aus dem Wirbel herauszukommen, nachdem er uns ein paar Jahrtausende herumgedreht hat. Selbst der Spott, der Cynismus, die Feindschaft gegen das Christenthum ist abgespielt; man sieht eine Eisfläche bei erwärmtem Wetter, überall ist das Eis zerrissen, schmutzig, ohne Glanz, mit Wasserpfützen, gefährlich. Da scheint mir nur eine rücksichtsvolle, ganz und gar ziemliche Enthaltung am Platze: ich ehre durch sie die Religion, ob es schon eine absterbende ist. Mildern und beruhigen ist unser Geschäft, wie bei schweren hoffnungslosen Kranken; nur gegen die schlechten, gedankenlosen Pfuscher-Ärzte (die meistens Gelehrte sind) muss protestirt werden.— Das Christenthum ist sehr bald für die kritische Historie d. h. für die Section reif.