Ende 1874 37 [1-8]
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Sind für einen künftigen Schriftsteller viele Sprachen von Nutzen? Oder überhaupt fremde Sprachen? Zumal für einen deutschen Schriftsteller? Die Griechen hiengen von sich ab und bemühten sich nicht um fremde Sprachen: wohl aber um die eigne. Bei uns umgekehrt: die deutschen Studien haben sich erst allmählich eingedrängt, und sie haben, wie sie getrieben werden, etwas Ausländisches und Gelehrtenhaftes an sich. Viel wird gethan, um lateinischen Stil zu lehren; aber im Deutschen lehrt man Geschichte der Sprache und Litteratur: und doch hat diese Geschichte nur als Mittel und Hülfe einer praktischen Übung Sinn. Deutsch in frühern Perioden lesen zu können ist nichts oder wenig. Aber viel ist, zu einem Urtheil über das Verkommene der gegenwärtigen Sprache zu gelangen und deshalb die Vergangenheit zu Hülfe zu nehmen. Der Wort- und Wendungen-Schatz, der jetzt jedermann zu Gebote steht, ist als verbraucht anzusehn und zu empfinden; wirklich ist die Sprache viel reicher als man nach diesem Schatze meinen sollte; ebenso ist die verschlungene Syntax verbraucht. Man muss also künstlerisch mit der Sprache verfahren, um dem Ekel zu entfliehen; etwa wie ich nicht mehr Mendelssohn’sche Wendungen aushalte; ich verlange nach einer kräftigeren und reizvolleren Sprache. Jetzt wird es freilich viel schwerer zu schreiben als es war; man muss sich seine Sprache machen. Dies ist kein äusserliches Begehren, als ob man eine Tracht satt hätte und nach einer neuen Mode begehrte. Denn ich erkenne in dem stumpfen Character unserer Sprache recht gut unser stumpfgewordnes Deutschthum, unsre verschwindende Individualität. Der Kampf hier und dort ist nur ein Sich-Bäumen gegen die Vernichtung des besseren und stärkeren Deutschthums, an das wir noch glauben. Eine Stillehre, die auf das Correcte und Conventionelle sähe, wäre das letzte, was wir brauchten: während es für die Andern kaum mehr nöthig ist, da sie unwillkürlich darin schon leben, ich meine im Zwange des Correcten und Conventionellen. Wer der deutschen Sprache noch eine Zukunft verheissen will, muss eine Strömung erzeugen gegen unser jetziges Deutsch. Man muss vieles Unglückliche und Gequälte in Kauf nehmen; die nächste Hauptsache ist, dass man sich anstrengt, dass man auf die Sprache Blut und Kraft wendet. Schön und hässlich sind Worte, die uns jetzt gar nichts angehen sollen, guten “Geschmack” kann es gar nicht geben. Tod aller Weichlichkeit, Bequemlichkeit.
Also: die Verarmung und Verblassung der Sprache ist ein Symptom der verkümmerten allgemeinen Seele in Deutschland; während die grosse Gleichmässigkeit in Wort und Wendung als das Gegentheil erscheinen könnte, als das Gegenstück der politischen Einheit, der Gewinn einer gemeinsamen Seele. Wenigstens könnte man sagen: es entsteht eine Einheit durch Zusammenschrumpfen und durch Erweiterung; die erste Art hätte man jetzt. Zum Beweis dass man die zweite nicht hat, dient es zu sehen, wie unsre grössten und reichsten Geister sich bei den Mitdeutschen gar nicht mehr verständlich machen können. Unwillkürlich werden sie Exilirte. Ebenso dient zum Beweise, was für Schriftsteller und Künstler der jetzigen allgemeinen Seele entsprechen und verstanden werden, z. B. so ein Strauss, Auerbach und dergleichen.