Sommer-Herbst 1884 26 [1-100]
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Zur Einleitung.
§ 1. Die schwierigste und höchste Gestalt des Menschen wird am seltensten gelingen: so zeigt die Geschichte der Philosophie eine Überfülle von Mißrathenen, von Unglücksfällen, und ein äußerst langsames Schreiten; ganze Jahrtausende fallen dazwischen und erdrücken, was erreicht war, der Zusammenhang hört immer wieder auf. Das ist eine schauerliche Geschichte—die Geschichte des höchsten Menschen, des Weisen.— Am meisten geschädigt ist gerade das Gedächtniß der Großen, denn die Halb-Gerathenen und Mißrathenen verkennen sie und besiegen sie durch “Erfolge.” Jedes Mal, wo “die Wirkung” sich zeigt, tritt eine Masse Pöbel auf den Schauplatz; das Mitreden der Kleinen und der Armen im Geiste ist eine fürchterliche Ohren-Marter für den, der mit Schauder weiß, daß das Schicksal der Menschheit am Gerathen ihres höchsten Typus liegt.— Ich habe von Kindesbeinen an über die Existenz-Bedingungen des Weisen nachgedacht; und will meine frohe Überzeugung nicht verschweigen, daß er jetzt in Europa wieder möglich wird—vielleicht nur für eine kurze Zeit.
§ 2. Was muß im Weisen zusammenkommen? Da begreift man, warum er so leicht mißräth, ganz abgesehen von den äußeren Bedingungen.
§ 3. Die Welt der Meinungen—wie tief das Werthschätzen in die Dinge geht, ist bisher übersehen: wie wir in einer selbstgeschaffenen Welt stecken, und auch in allen unseren Sinnes-Wahrnehmungen noch moralische Werthe liegen.— Beschränktheit des Gesichtskreises des Kantischen Idealismus (zuletzt von ihm selber widerlegt: was geht uns die Wahrheit an, wenn es sich um unsere höchsten Werthschätzungen handelt—“man muß dann dies und jenes glauben” meinte Kant)