Sommer-Herbst 1884 26 [1-100]
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Das Befehlen und das Gehorchen ist die Grundthatsache: das setzt eine Rang-Ordnung voraus
Sch[openhauer] p. 136 “Das Princip oder der oberste Grundsatz einer Ethik ist der kürzeste und bündigste Ausdruck für die Handlungsweise, die sie vorschreibt oder, wenn sie keine imperative Form hätte, die Handlungsweise welcher sie eigentlichen moralischen Werth zuerkennt,—also das Ó, J4 der Tugend. Das Fundament einer Ethik hingegen ist das *4`J4 der Tugend, der Grund jener Verpflichtung oder Anempfehlung oder Belobung, also das *4`J4 der Tugend.— Das Ó, J4 so leicht, das *4`J4 so entsetzlich schwer.”
“Das Princip, der Grundsatz, über dessen Inhalt alle Ethiker eigentlich einig sind: neminem laede, immo omnes quantum potes juva—das ist eigentlich der Satz, welchen zu begründen alle Sittenlehrer sich abmühen—das eigentliche Fundament der Ethik, welches man wie den Stein der Weisen seit Jahrtausenden sucht.” [Vgl. Arthur Schopenhauer, Sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 4: Schriften zur Naturphilosophie und zur Ethik. Die beiden Grundprobleme der Ethik. Preisschrift über die Grundlage der Moral. Leipzig: Brockhaus, 1874:136.]
Die Schwierigkeit, diesen Satz zu beweisen, ist freilich groß: er ist albern und sklavenhaft-sentimental.
neminem laede warum nicht?
neminem enthält eine Gleichsetzung aller Menschen: da aber die Menschen nicht gleich sind, so ist hierin eine Forderung enthalten, sie als gleich zu setzen. Also—“behandle jeden Menschen als Deinesgleichen” ist Hintergrund dieser Moral. “Nutzen” enthält die Frage “nützlich wozu?” also schon eine Werthschätzung und Ziel. Unter Umständen könnte, um Allen zu nützen, es nöthig sein Vielen zu schaden: also der erste Theil falsch sein. Es ist lächerlich, ein “Wohl- und Wehethun” an sich zu glauben, wenn man Philosoph ist. Ein Schmerz und Verlust bringt uns oft den größten Gewinn, und “es ist sehr gut, schlimme Feinde zu haben,” wenn aus dir etwas Großes werden soll.—
also: erste Frage, ob die Moral praktikabel, ausfühbar ist. Aber wie kann ich “Allen nützen”!
Es giebt Augenblicke in Schopenhauer, wo er der Sentimentalität Kotzebue’s gar nicht fern steht—auch spielte er täglich Flöte: das sagt Etwas.