Frühjahr 1884 25 [1-100]
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Meine Freunde, wir haben es hart gehabt, als wir jung waren: wir haben an der Jugend selber gelitten wie an einer schweren Krankheit. Das macht die Zeit, in die wir geworfen sind,—die Zeit eines großenimmer schlimmeren Verfallens und Auseinanderfallens, welche mit allen ihren Schwächen und noch mit ihrer besten Stärke dem Geiste dr Jugend entgegen wirkt. Das Auseinanderfallen, also die Ungewißheit ist dieser Zeit eigen: nichts steht auf festen Füßen und hartem Glauben an sich: man lebt für morgen, denn das Übermorgen ist zweifelhaft. Es ist Alles glatt und gefährlich auf unsrer Bahn, und dabei ist das Eis, das uns noch trägt, so dünn geworden: wir fühlen Alle den warmen unheimlichen Athem des Thauwindes—wo wir noch gehen, da wird bald Niemand mehr gehen können.
Ich habe einsam gelebt und mich tüchtig und herzhaft in den Mantel der Einsamkeit gewickelt: das gehört zu meiner Klugheit. Es ist jetzt sogar viel List nöthig, um sich selber zu erhalten, selber oben zu erhalten. Jeder Versuch, es in der Gegenwart, mit der Gegenwart auszuhalten, jede Annäherung an die Menschen und Ziele von heute, ist mir bisher mißrathen; und ich habe die verborgene Weisheit meiner Natur angestaunt, welche bei allen solchen Versuchen sofort durch Krankheit und Schmerz mich wieder zu mir selber zurück ruft.
Es versteht sich von selber, daß ich Alles das kenne, was man die Leiden des Genies nennt: die Verkennung, Vernachlässigung, die Oberflächlichkeit jeden Grades, die Verdächtigung; ich weiß, wie Manche uns wohl zu thun glauben, wenn sie uns in “bequemere” Lagen, unter geordnete zuverlässigere Menschen zu bringen suchen; ich habe den unbewußten Zerstörungs-trieb bewundert, den alle Mittel-mäßigkeit gegen uns bethätige, und zwar im besten Glauben an ihr Recht dazu. In manchen allzu erstaunlichen Fälle habe ich mich meines alten trostes vertröstet: dies ist—französisch zu reden—la bêtise humaine—ein Ding, das mich im Grunde immer mehr ergötzt als verdrossen hat. Es gehört zu der großen Narrethei, deren Anblick uns höhere Menchen am Leben festhalten läßt. Und wenn mein Auge sich nicht täuscht: so ist hundert Mal mehr Dummheit in allem menschlichen Handeln als geglaubt wird. Insgleichen aber ist der Anblick der tiefen feinen ihrer selber sicheren, ihrer selber aber gänzlich unbewußten Heuchelei unter allen guten dicken braven Menschen für den, der sie sehen kann, ein Ding zum Entzücken: und im Gegensatz zur bêtise humaine ist hier die unbewußte Verschlagenheit entzückend.