Winter 1872-73 23 [1-45]
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Nun wurde die ganze Gruppe unverständlich. Später nahm man von den Ehrwürdig-Unverständlichen weg, was man brauchen konnte, man plünderte sie aus, und dann kommt ein Arm des Parmenides, ein Schulterstück des Heraklit, ein Fuß des Empedokles bald hier, bald dort vor, in Platon’s Akademie sowohl wie in der Stoa und in den Gärten Epikurs. Um sie als Ganzheiten zu verstehen, muß man in jedem von ihnen den Versuch und Ansatz zum griechischen Reformator erkennen; diesen sollten sie vorbereiten, vor dem sollten sie hergehen wie eine Morgenröthe vor der Sonne. Aber die Sonne kam nicht, der Reformator mißlang: so blieb die Morgenröthe fast nur eine gespenstische Erscheinung. Daß aber etwas Neues in der Luft war, beweist die gleichzeitige Entstehung der Tragödie; nur ist der Philosoph und Gesetzgeber nie erschienen, welcher die Tragödie begriffen hätte, und so starb auch wieder diese Kunst und die griechische Reformation wurde für immer unmöglich. An Empedokles kann man nie ohne tiefe Trauer denken; er war dem Bilde jenes Reformators am ähnlichsten; daß es auch ihm mißlang und er zeitig verschwand, wer weiß nach was für schrecklichen Erfahrungen und in welcher Hoffnungslosigkeit—das war ein panhellenisches Verhängniß. Seine Seele hatte mehr Mitleiden als irgend eine griechische Seele; und vielleicht doch nicht genug, denn im Ganzen sind die Griechen hierin arm, und gerade den großen Philosophen ist das tyrannische Element in ihrem Blute zum Hinderniß geworden, einen solchen Tief- und Vollblick, wie ihn Schopenhauer besaß, zu erlangen.