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Winter 1872-73 23 [1-45]
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| Philosophie und Volk. Keiner der großen griechischen Philosophen zieht das Volk hinter sich drein: am meisten versucht von Empedokles (nach Pythagoras), doch auch nicht mit der reinen Philosophie, sondern mit einem mythischen Vehikel derselben. Andre lehnen das Volk von vornherein ab (Heraklit). Andre haben einen ganz vornehmen Kreis von Gebildeten als Publikum (Anaxagoras). Am meisten hat demokratisch-demagogische Tendenz Sokrates: der Erfolg sind Sektenstiftungen, also ein Gegenbeweis. Was solchen Philosophen nicht gelungen ist, wie sollte das den geringeren gelingen? Es ist nicht möglich, eine Volkskultur auf Philosophie zu gründen. Also kann die Philosophie im Verhältniß zu einer Kultur nie fundamentale und immer nur eine Nebenbedeutung haben. Welches ist diese? |
| Bändigung des Mythischen.— Stärkung des Wahrheitssinnes gegenüber der freien Dichtung. vis veritatis oder Stärkung des reinen Erkennens (Thales Demokrit Parmenides). |
| Bändigung des Wissenstriebes—oder Stärkung des Mythisch-Mystischen, des Künstlerischen, (Heraklit Empedokles Anaximander.) Gesetzgebung der Größe. |
| Zertrümmerung des starr Dogmatischen: a) in Religion b) Sitte c) Wissenschaft. Skeptischer Zug. |
| Jede Kraft (Religion, Mythus, Wissenstrieb) hat, in einem Übermaße, barbarisirende, unsittliche und verdummende Wirkungen, als starre Herrschaft. (Sokrates.) |
| Zertrümmerung der blinden Verweltlichung (Ersatz der Religion). (Anaxagoras Perikles.) Mystischer Zug. |
| Resultat: | sie kann keine Kultur schaffen aber sie vorbereiten oder sie erhalten oder sie mäßigen. |
| Für uns: der Philosoph ist deshalb das Obertribunal der Schule: Vorbereitung des Genius: denn wir haben keine Kultur. Aus der Symptomenlehre der Zeit ergiebt sich als Aufgabe der Schule: |
| 1) | Zertrümmerung der Verweltlichung (Mangel der Popularphilosophie) |
| 2) | Bändigung der barbarisirenden Wirkungen des Wissenstriebes (dabei Enthaltung von der spintisirenden Philosophie selbst). Gegen die “ikonische” Geschichte gegen die “arbeitenden” Gelehrten. |
| Die Kultur kann immer nur von der centralisirenden Bedeutung einer Kunst oder eines Kunstwerks ausgehen. Unwillkürlich wird die Philosophie dessen Weltbetrachtung vorarbeiten. |