Sommer 1875 6 [1-51]
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Es giebt auch eine Art, diese Geschichte zu erzählen, ironisch und voll Trauer. Ich will jedenfalls den ernsthaftgleichmässigen Ton vermeiden.
Socrates wirft das Ganze um, in einem Augenblick, wo es sich der Wahrheit noch am meisten genähert hatte; das ist besonders ironisch.
Alles auf dem Hintergrund des Mythos aufzumalen. Dessen grenzenlose Unsicherheit und Wogen. Man sehnt sich nach Sicherem.
Nur wohin der Strahl des Mythus fällt, da leuchtet das Leben des Griechen; sonst ist es düster. Nun berauben sich diese Philosophen des Mythus; also wie halten sie es in dieser Düsterkeit aus? —
Das Individuum, welches auf sich selbst stehen will. Da braucht es letzte Erkenntnisse, Philosophie. Die andern Menschen brauchen langsam anwachsende Wissenschaft.
Oder vielmehr: es ist ein Glaube nöthig, solche letzte Erkenntnisse zu besitzen. Einen solchen Grad von Gläubigkeit für das eigene Erkennen wird es nie wieder geben, wie ihn jene alten Griechen besaßen: aber die Schwierigkeit und Gefahr des Erkennens stand ihnen noch nicht vor der Seele; sie hatten einen handfesten Glauben an sich, mit dem sie alle ihre Nachbarn und Vorgänger niederwarfen. Das Glück im Besitz der Wahrheit war nie größer auf der Welt, aber auch nie die Härte, der Übermuth, das Tyrannische. In seinen geheimen Wünschen war jeder Grieche Tyrann; und überhaupt jeder war es, der es sein konnte, vielleicht mit Ausnahme des Solon, nach seinen eigenen Gedichten zu schließen.
Auch die Unabhängigkeit ist nur scheinbar: zuletzt knüpft jeder an seinen Vorgänger an. Phantasma an Phantasma. Es ist komisch, alles so ernst zu nehmen.
Die ganze ältere Philosophie als curioser Irrgarten-Gang der Vernunft. Es ist eine Traum- und Märchentonart anzustimmen.