Ende 1876 - Sommer 1877 23 [101-197]
23 [114]
Erwägt man, wie die Irrthümer großer Philosophien gewöhnlich ihren Ausgangspunkt in einer falschen Erklärung bestimmter menschlicher Handlungen und Empfindungen haben, wie auf Grund einer irrthümlichen Analysis z. B. der sogenannten unegoistischen Handlungen eine falsche Ethik erbaut wird, dieser zu Gefallen dann wiederum Religion und mythologisches Unwesen zu Hülfe genommen werden und endlich die Schatten dieser trüben Geister auch in die Physik und gesamte Weltbetrachtung hineinfallen: erwägt man dies Alles, so sieht man ein, wie unbillig die gewöhnliche Unterschätzung der psychologischen Beobachtung ist: während eben die Oberflächlichkeit der psychologischen Beobachtung, also das Resultat jener Unterschätzung, dem menschlichen Denker und Urtheilen die gefährlichsten Fallstricke gelegt hat und fortwährend von Neuem legt. Woher nun diese Nichtachtung? Etwa weil auch dem leeren und eiteln Gesindel der Gesellschaft, männlichen oder weiblichen Geschlechts, gelegentlich solche Bemerkungen gelingen, weil man da in bestimmten Zeiten sich moralische Sentenzen im Carneval der geistreichen Gefallsucht als eine Art Confetti zuzuwerfen pflegte?— Aber der Unterschied ist eben außerordentlich, wenn ein streng wägender Denker den gleichen psychologischen Satz, der einmal auch in jenen Kreisen entdeckt worden ist, ausspricht und ihn mit dem Gepräge und Kopfbilde seiner Autorität versieht. Vielleicht thut jetzt, als Vorarbeit für alles zukünftige Philosophiren, nichts so noth, als Stein auf Stein, Steinchen auf Steinchen psychologische Arbeit zu häufen und tapfer jeder Mißachtung dieser Art Arbeit zu widerstreben. Zu welchen Entdeckungen wird eine spätere Generation, vermöge eines solchen Materials, kommen!— Freilich muß jener unehrliche Geist von diesem Gebiete fern gehalten werden, in dem z. B. Schleiermacher seine Schüler aufforderte, die psychologischen Thatsachen des religiösen Bewußtseins zu untersuchen: denn hier war es von vornherein auf die Erhaltung der Religion und auf das Fortbestehen der Theologie (welcher er eine neue Arbeit zuweisen wollte) abgesehen.— Wie es in der Natur keine Zwecke giebt und sie trotzdem Dinge von der höchsten Zweckmäßigkeit schafft, so wird auch die ächte Wissenschaft ohne Zwecke (Nutzen Wohlfahrt der Menschen) arbeiten, sondern ein Stück Natur werden, d. h. das Zweckmäßige (Nützliche) hier und da erreichen, ohne es gewollt zu haben.