Ende 1876 - Sommer 1877 23 [101-197]
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Während Schopenhauer von der Welt der Erscheinung aussagt, dass sie in ihren Schriftzügen das Wesen des Dinges an sich zu erkennen gebe, haben strengere Logiker jeden Zusammenhang zwischen dem Unbedingten, der metaphysischen Welt und der uns bekannten Welt geleugnet: so dass in der Erscheinung eben durchaus nicht das Ding an sich erschiene. [Vgl. Afrikan Spir, Denken und Wirklichkeit. Versuch einer Erneuerung der kritischen Philosophie. Bd. 1: Das Unbedingte. Leipzig: Findel, 1877:279.] Von beiden Seiten scheint mir übersehen, dass es verschiedne irrthümliche Grundauffassungen des Intellectes sind, welche den Grund abgeben, weshalb Ding an sich und Erscheinung in einem unausfüllbaren Gegensatz zu stehen scheinen: wir haben die Erscheinung eben mit Irrthümern so umsponnen, ja sie so mit ihnen durchwebt, dass niemand mehr die Erscheinungswelt von ihnen getrennt denken kann. Also: die üblen, von Anfang an vererbten unlogischen Gewohnheiten des Intellectes haben erst die ganze Kluft zwischen Ding an sich und Erscheinung aufgerissen; diese Kluft besteht nur insofern unser Intellect und seine Irrthümer bestehen. Schopenhauer hinwiederum hat alle characteristischen Züge unserer Welt der Erscheinung—d. h. der aus intellectuellen Irrthümern herausgesponnenen und uns angeerbten Vorstellung von der Welt—zusammengelesen und statt den Intellect als Schuldigen anzuklagen, das Wesen der Dinge als Ursache dieses thatsächlichen Weltcharacters angeschuldigt.— Mit beiden Auffassungen wird eine Entstehungsgeschichte des Denkens in entscheidender Weise fertig werden: deren Resultat vielleicht auf diesen Satz hinauslaufen dürfte: das was wir jetzt die Welt nennen, ist das Resultat einer Menge von Irrthümern welche in der gesammten Entwicklung der organischen Wesen allmählich entstanden, in einander verwachsen und uns jetzt als aufgesammelter Schatz der ganzen Vergangenheit vererbt werden. Von dieser Welt als Vorstellung vermag uns die strenge Wissenschaft thatsächlich nur in geringem Maasse zu lösen, insofern sie die Gewalt uralter Gewohnheiten nicht zu brechen vermag: aber sie kann die Geschichte der Entstehung dieser Welt als Vorstellung aufhellen.