Ende 1876 - Sommer 1877 23 [101-197]
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Wenn man an die höhere Nützlichkeit, an ökumenische Zwecke bei dem Wort Moral denkt, so ist im Handel mehr Moralität enthalten, als im Leben nach jener Kantischen Aufforderung “thue das was du willst daß dir gethan werde” oder im christlichen Wandel nach der Richtschnur des Wortes: “liebe den Nächsten um Gottes willen.” Der Satz Kant’s ergiebt eine kleinbürgerliche Privat-Achtbarkeit der Sitte und steht im Gegensatz zu ökumenischen Zwecken: von deren Existenz er nicht einmal einen Begriff hat. Wie wenig geforderte Liebe überhaupt zu bedeuten hat, namentlich aber eine Liebe dieser indirekten Art, wie die christliche Nächstenliebe, das hat die Geschichte des Christenthums bewiesen: welche im Gegensatz zu den Folgen der buddhaistischen, reisessenden Moral durchweg gewaltsam und blutig ist. Und was heißt es überhaupt: “ich liebe den Mitmenschen um Gottes Willen!” Ist es mehr als wenn jemand sagt “ich liebe alle Polizeidiener, um der Gerechtigkeit willen” oder was ein kleines Mädchen sagte: “ich liebe Schopenhauer, weil Großvater ihn gern hat: der hat ihn gekannt”?