Herbst 1880 6 [1-100]
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Die Griechen litten am meisten beim Anblick der Häßlichkeit, die Juden bei [dem] der Sünde, die Franzosen beim Anblick des ungeschickten geistarmen brutalen Selbst—deshalb idealisirten sie das Gegentheil—und dieses Ideal bildete sie selber um. Rache für das Leid—Motiv für die Bildung der Götter und künstlerischen Vorbilder. Der Mangel an berückender Sinnlichkeit macht die deutschen Maler zu Enthusiasten des Sinnlichen. Das Leiden an der Gluth der Leidenschaft hat die Italiäner zu Verehrern des kalten künstlichen Formalism gemacht: und zu Verehrern der Jungfrau M[aria] und des Christus. Schopenhauer idealisirte das Mitleiden und die Keuschheit, weil er am meisten von dem Gegentheil litt. “Der unabhängige Mensch” ist das Ideal des abhängigsten, impressionabelsten.— Dies sind die unerfüllbaren Ideale, wirklich falsche Phantasmen: ihr Anblick entzückt und demüthigt: dieser Zwitterzustand ist bezeichnend für die Menschen des unerfüllten Ideals. Es ist ihr Höhepunkt: sie ruhen dann über ihrem Wehe, mit einem verächtlichen Blick nach unten.