Herbst 1873 - Winter 1873-74 30 [1-38]
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Es giebt eine Kunst, sich die Dinge nur durch Worte und Namen, die man ihnen beilegt, fernzuhalten: ein Fremdwort macht uns oft das fremd, was wir sonst recht gut aus der Nähe kennen. Sage ich Weisheit und Liebe zur Weisheit, so empfinde ich gewiss etwas Heimischeres, Wirksameres als wenn ich Philosophie sage: aber wie gesagt, es ist mitunter eben die Kunst, sich die Dinge nicht zu nah kommen zu lassen. Liegt doch in den heimischen Worten oft so viel Beschämendes! Denn wer würde sich nicht schämen, sich als Weisen oder auch nur als werdenden Weisen zu bezeichnen! Aber als einen Philosophen? Das will jedermann so leicht über die Zunge: etwa so leicht als jeder den. Titel Doctor trägt, ohne jemals an die so anmaassliche Confession, die in ihm liegt, Lehrer zu sein, zu denken. Nehmen wir also an, dass das Fremdwort Philosoph von der Scham und Bescheidenheit eingegeben ist: oder wäre es wahr, dass vielleicht gar keine Liebe zur Weisheit da ist, und die fremdländische Bezeichnung, etwa wie bei dem Worte “Doctor” nur den Mangel an Inhalt, die Leere des Begriffs verhüllen soll? Es ist mitunter ausserordentlich schwer, das Vorhandensein einer Sache nachzuweisen: so verquickt, übersetzt, versteckt, so diluirt und abgeschwächt ist sie, während die Namen beharrlich sind und Verführet obendrein. ist das, was wir jetzt Philosophie nennen, wirklich Liebe zur Weisheit? Und giebt es jetzt überhaupt wahre Freunde der Weisheit? Setzen wir ungescheut Liebe zur Weisheit an Stelle des Wortes Philosophie: es wird schon herauskommen, ob sie sich decken.