März 1875 3 [1-76]
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Wie wenig Vernunft, wie sehr der Zufall unter den Menschen herrscht, zeigt das fast regelmässige Missverhältniss zwischen dem sogenannten Lebensberufe und der Disposition dazu: die glücklichen Fälle sind Ausnahmen, wie die glücklichen Ehen, und auch diese werden nicht durch Vernunft herbeigeführt. Der Mensch wählt den Beruf, wo er noch nicht fähig zum Wählen ist; er kennt die verschiedenen Berufe nicht, er kennt sich selbst nicht; er verbringt seine thätigsten Jahre dann in diesem Berufe, verwendet all sein Nachdenken darauf, wird erfahrener; erreicht er die Höhe seiner Einsicht, dann ist es gewöhnlich zu spät, noch etwas Neues zu beginnen, und die Weisheit hat auf Erden fast immer etwas Altersschwaches und Mangel an Muskelkraft an sich gehabt.
Die Aufgabe ist meistens die, wieder gut zu machen, ungefähr zu recht zu legen, was in der Anlage verfehlt war; viele werden erkennen, dass der spätere Theil des Lebens eine Absichtlichkeit zeigt, die aus ursprünglicher Disharmonie entstanden ist; es lebt sich schwer. Am Ende des Lebens ist man’s aber doch gewohnt—dann kann man sich über sein Leben irren und seine Dummheit loben: bene navigavi cum naufragium feci, [Spruch von Zenon dem Stoiker (vgl. Arthur Schopenhauer, Sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 5: Parerga und Paralipomena: Kleine philosophische Schriften, Bd. 1. Leipzig: Brockhaus, 1874: 216; Diogenes Laertius: Lives of the Famous Philosophers).] und gar ein Preislied auf die “Vorsehung” anstimmen.