März 1875 3 [1-76]
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Horaz ist durch Bentley vor einen Richterstuhl gestellt, den er abweisen müsste. Die Bewunderung, die ein scharfsinniger Mann als Philologe erntet, steht im Verhältniss zur Rarität des Scharfsinns bei Philologen.— [Vgl. Friedrich August Wolf, Kleine Schriften in Lateinischer und Deutscher Sprache. Von Fr. Aug. Wolf. Hrsg. durch G. Bernhardy. Halle: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, 1869:1051.] Das Verfahren bei Horaz hat etwas Schulmeisterliches, nur dass nicht Horaz selbst censirt werden soll, sondern seine Überlieferer; in Wahrheit und im Ganzen trifft es aber Horaz. Mir steht nun einmal fest, dass eine einzige Zeile geschrieben zu haben, welche es verdient, von Gelehrten späterer Zeit commentirt zu werden, das Verdienst des grössten Critikers aufwiegt. Es liegt eine tiefe Bescheidenheit im Philologen. Texte verbessern ist eine unterhaltende Arbeit für Gelehrte, es ist ein Rebusrathen; aber man sollte es für keine zu wichtige Sache ansehen. Schlimm, wenn das Alterthum weniger deutlich zu uns redete, weil eine Million Worte im Wege stünden!