Frühjahr 1880 bis Frühjahr 1881 10 [1-101]
10 [B31]
Als ich Schopenhauer gleich meinem Erzieher feierte hatte ich vergessen, daß bereits seit langem keines seiner Dogmen meinem Mißtrauen Stand gehalten hatte; es kümmerte mich aber nicht, wie oft ich “schlecht bewiesen” oder “unbeweisbar” oder “übertrieben” unter seine Sätze geschrieben hatte, weil ich des mächtigen Eindrucks dankbar genoß, den Schopenhauer selber, frei und kühn vor die Dinge, gegen die Dinge hingestellt, auf mich seit einem Jahrzehnd geübt hatte. Als ich später Richard Wagner meine Verehrung bei einem festlichen Anlaß darbrachte, hatte ich wiederum vergessen, daß seine ganze Musik für mich auf einige hundert Takte, hierher und dorther entnommen, zusammengeschrumpft war, welche mir am Herzen lagen und denen ich am Herzen lag—es wird wohl noch jetzt der Fall sein—und nicht weniger hatte ich vergessen über dem Bilde dieses Lebens—dieses mächtigen, in eigenem Strome und gleichsam den Berg hinanströmenden Lebens—zu sagen, was ich von Richard Wagner in Ansehung der Wahrheit hielt. Wer möchte nicht gern anderer Meinung als Schopenhauer sein, habe ich immer gedacht—im Ganzen und Großen: und wer könnte Einer M[einung] mit Richard Wagner sein, im Ganzen und im Kleinen!