Frühjahr 1880 bis Frühjahr 1881 10 [1-101]
10 [D59]
Den Menschen der sympathischen und uninteressirten Handlungen als den moralischen anzusehen ist eine Mode, an der das Christenthum für Europa schuld sein mag. Sonst gilt der sich stark verantwortlich fühlende, für sein Heil und sein höchstes Interesse für moralisch, der “ich” noch mehr sagt als alle Anderen: selbst wenn er die Anderen dabei sich opfert, wie die großen Eroberer. Niemandem schaden, und ihm so viel als möglich nützen, sich aber am meisten—dies hat nicht als moralisch gegolten, weil man es für unmöglich ansah. Und mit Recht! So ist die Natur der Dinge nicht, daß man zwei entgegengesetzte Passionen zum Einklang bringen könnte. Indem wir da sind und indem wir uns durchsetzen und auf das Höchste ausbilden, müssen wir unser Interesse für höher achten als anderer und daraus die Kraft nehmen: man kann keinen Schritt weit thun, ohne irgend das Interesse eines Anderen zu verletzen. Schon weil wir es nicht genug kennen können, ist eine Richtschnur nach dem Interesse jedes Einzelnen und aller Anderen unmöglich. Ja, gegen uns selber ist es ebenso: was wir zu unserem Hauptinteresse dekretiren, das lebt auf Unkosten der anderen Interessen von uns. In uns selber ist jene Unmöglichkeit schon bewiesen. Die “Rechtlichkeit” die Schonung fremder Rechte ist nur in einem sehr groben Sinn möglich. Ihre Quelle ist eine feinere Ungerechtigkeit, es ist eine Existenzbedingung für einen sehr groben Begriff von “Existenz”! Aber das Existiren-wollen ist schon ungerecht.