Sommer 1883 8 [1-27]
8 [15]
Die Griechen als Menschenkenner.
Das Vereinfachen, die Abneigung gegen das Complizirte, und die kleinen Details
Das Logisiren, das Voraussetzen des logisch-Begreiflichen auch im Charakter
Das Idealisiren (“schön und jung”), die Abneigung gegen das Nicht-Typische, das unbewußte Lügen (es fehlt das Partei-Nehmen gegen sich selber, eine gewisse Großmuth)
Die politische Nöthigung, sich gemeinverständlich zu geben: der Mangel an versteckten Individuen II 398, an verhaltenen Gefühlen (die als thatenscheu Verrufenen II 401). [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:398, 401.]
Der Wettkampf. Empfindung, mit der jeder Philosoph seine Gegner niederkämpfen wollte—durch den praktischen Beweis, daß er der Glücklichste sei. “Tugend ist Glück”—das hat von Sokrates an alle psychologische Beobachtung gefälscht; sie vertheidigen sich (der “Thatsachen-Sinn” ist nur als Reaktion im Agon mit dem mythischen Sinne gewachsen, nicht als ursprüngliche Kraft).
(Sie sind vielleicht einfacher gewesen?— Aber die ungeheure Fülle von verschiedenen Individuen.)
Die Vornehmheit ((g<<"Ã@l so viel wie “naiv”!): das instinktive Handeln und Urtheilen gehört zur guten Art; das Sich-selber-Annagen und -Zersetzen ist unnobel.
Ihr Wille zum “Allgemein-Menschlichen,” auch zunächst allgemein Griechischen—ihr Gegensatz-Gefühl zum Barbaren
Der böse Mensch genießt theils Verehrung, theils Mitleid; er ist sich selber noch nicht von Würmern zerfressen—die ganze zerstörende aufwühlende Selbst-Verachtung fehlt.
Die “unnütze” Kraftvergeudung (im Agon jeder Art) als Ideal, auf welches der Staat hinstrebt (gegen die Römer); sie verstehn die Antriebe aus gedrückten Lagen wenig während der Inder (Brahmane) durch den Mangel an Initiative empfindet “alles Handeln ist Leiden.”
Stoicism wäre in einer moralistisch aufgeklärten Welt gar nicht möglich gewesen.— Jedes Wort von B. Grazian oder La Rochefoucauld oder Pascal hat den ganzen griechischen Geschmack gegen sich.
sie schimpfen und lassen sich’s dabei wohl sein (Homer’s Sophocles’ Epicur’s Pessimismus—das “Ausweichen” als “göttlich” empfunden).
also: sie leiden im höchsten Grade, aber sie reagiren dagegen mit um so höherem Selbstgenuß im Schaffen und auch im Reden von Dingen, die wohl thun.
es ist das für Schmerz empfindlichste Volk, aber ihre plastische Kraft in der Benutzung des Schmerzes ist außerordentlich: dazu gehört auch eine Mäßigung in der Rache am Schmerz, im Wühlen im Schmerz: eine Nöthigung zur siegreichen Attitüde, als Kur. Folglich sind sie geneigt, unredlich zu sein gegen das Leiden: und so ist “ihr Gemüth” weniger sichtbar geworden, um so mehr die überwindenden Affekte, die helle Geistigkeit und die Tapferkeit. Die Schmähsucht nöthigte, die Leidenschaften zu verbergen.
Thukydides als höchstes Beispiel des Beiseite-Tretens von der nationalen Abneigung gegen die anatomische Behandlung.
In der Zeit der höchsten Produktivität an Gestalten, Gegensätzen (wie dionysisch-apollinisch) fehlt noch die Reflexion: die Thatsachen stehen da.
Die bildende Kunst kommt viel später. Man kann die Philosophie von Socrates an hinzu rechnen—ein Trieb aus der Vielheit zu wenig Typen zurückzukehren.
leibhafte Darstellung des höchsten Menschen Ziel der Philosophen.
Absoluter Mangel einer Geschichte der moralischen Werthschätzungen bei den Philosophen.
Widerwille gegen das Geltenlassen eines anderen Typus.
(man sehe Plato: er verneint alles andere Große! Homer, die bildenden Künste, die Prosa, Perikles—und um Sokrates zu ertragen, bildet er ihn um!)
Allgemeiner Eindruck: eine gewisse Oberflächlichkeit des Psychologischen (gegen Shakespeare und Dante und Goethe, gegen alle Franzosen von Montaigne bis Balzac, gegen Grazian (die christliche Scepsis) Italiäner J[acob] B[urckhardt] auch die Inder sind tiefer in der Analyse des leidenden Menschen).
Aber vielleicht waren sie noch einfachere Menschen? Diese Vorstellung paßt zur “Jugend der Menschheit” usw.
Hier gerade ist die Gefahr eines Hauptirrthums und Fehlschlusses. Gesetzt, die bildenden Künste der Griechen wären untergegangen und wir wären auf die Urtheile der Philosophen beschränkt: welcher Fehlschluß!
Und ebenso: all ihr aesthetisches Urtheilen ist tief unter dem Niveau ihres Schaffens.
Es wäre also eine Diskrepanz möglich: daß die Menschenkenntniß der Griechen äußerst zurücksteht gegen den thatsächlichen Reichthum an Typen und Individuen: daß sich ihre “Menschlichkeit” nur wenig zum Bewußtsein gekommen ist.
Wahrscheinlich haben niemals so viel verschiedene Individuen auf einem so kleinen Raum zusammengesteckt und sich eine solche wetteifernde Vollendung ihrer Eigenthümlichkeiten erlaubt.
Betrachten wir aber die nationalen Eigenthümlichkeiten ihres Intellekts: so wird es wahrscheinlich, daß die Kenntniß der Menschen bei ihnen gehemmt geblieben ist. Alle ihre größten Kräfte wirkten hierin hemmend. Dies ist mein Thema.
Plato’s freie Art, mit Socrates zu verfahren (wie sein Kopf in Neapel)
Die freie Art, sich Socrates zurecht zu machen (Xenophon ebenso)
das Untergehn des Individuums in Typen (Homer Orpheus usw.)
Widerwille gegen das Exakte. Poesie viel höher als Geschichte : jene behandle den Menschen im Allgemeinen, diese seine Einzelheiten. Darum Poesie mehr geeignet den Menschen kennen zu lernen. “Die wesentlichen Dinge wiederholen sich, es giebt nichts Neues, es giebt keine Entwicklung”—ist ächtgriechisch. Es fehlt alles Nachdenken über die verschiedenen Zukünfte. Was liegt an Anachronismen! an große Personen fliegen hundert Züge an und bleiben kleben.
Schluß. Das ganze hellenische Wesen ist tiefer zu nehmen. Mit Zeugnissen ist wenig zu machen. Die historischen Thatsachen, die Handlungen sind wichtiger z.B. für ihre Ethik, als alle ihre Worte. Wir müssen das hellenische Wesen erst noch errathen: es ist noch wesentlich fremd.
wir giengen ihnen gegen den Geschmack
unsre Menschenkenntniß schamlos
unsre Technik à$k4l gegen die Natur
unsre Wissenschaft kleinlich-krämerisch
unwahrhaftig, weil so Vieles bei uns nicht Sichtbarkeit hat II 399. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:399.]
allgemeines Leiden der Modernen: “Selbstverkleinerung” p. 399. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:399.]
Einleitung
| Triebe ihres Intellekts und ihrer Sinne | 1) | Das Vereinfachen (sie sind so begreiflich), Lust am Übersehen der Nebenzüge, Energie Einen Zug zum Schwerpunkte zu machen. | ||
| 2) | Das Logisiren: eine Art Bezauberung (Dialektik als etwas Göttliches. Vers der Antigone). | |||
| 3) | Das Idealisiren (“schön und jung”) das Gefühl das wir in der großen Natur befriedigen, befriedigen sie vor dem Menschen. | |||
| Triebe und Gefühle aus der politischen Sphäre | 4) | Das Gefühl der Vornehmheit man traute sich die richtige Selbstschätzung zu II 397. [Vgl. Leopold Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. Bd. 2. Berlin: Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung), 1882:397.] Unbillig gegen die Bescheidenen. Nemesis: sich großer Dinge für würdig halten, deren andere nicht würdig sind. | ||
| 5) | Die politische helle Luft, die Nöthigung, gemeinverständlich sich zu geben. | |||
| der am besten entwickelte Instinkt ihrer gesammten Moralität | 6) | Das agonale Gefühl, welches vor einem Publikum siegen will und diesem Publikum verständlich sein muß. (Weshalb noch so verschiedene Individuen das “Allgemein-Menschliche” an sich übermäßig bekennen. |
Beurtheilung des erwachenden “Thatsachen-Sinnes” als Consequenz selbst des Agons. Lob des Thukydides.
Im Munde eines Griechen ist es eine Paradoxie, wenn er in der Kugel die Spitze des Vollkommenen sehen wollte, sie mögen Wölbung und Rundung nicht.
Ihr Naturgefühl ist dem religiösen viel verwandter als das unsrige. Bei uns ist immer die Hauptsache, daß wir vom Menschen erlöst sind—wir suchen nach Gefühlen, die wir unter Menschen nicht haben.
Ich habe das Griechenthum entdeckt: sie glaubten an die ewige Wiederkunft! Das ist der Mysterien-Glaube!
(Stelle des Cratylus)
Plato meint, die Todten im Hades seien rechte Philosophen, vom Leibe erlöst.
(<äh4 F"LJ`<, aber nicht den Menschen
mit Hintergedanken lesen.
Bk`Fhg A8VJT< ÐB4h
X<Jg A8VJT< :XFF0 Jg O\:"4k".
Zwecke.
Ihre Schwäche deutet auf ihre Stärke hin.
Es sind Schauspieler. Wollen und Sein fällt zusammen für ihren Intellekt.