Sommer 1886 - Frühjahr 1887 6 [1-26]
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Die Qualitäten sind unsere unübersteiglichen Schranken; wir können durch nichts verhindern, bloße Quantitäts-Differenzen als etwas von Quantität Grundverschiedenes zu empfinden, nämlich als Qualitäten, die nicht mehr auf einander reduzirbar sind. Aber alles, wofür nur das Wort “Erkenntniß” Sinn hat, bezieht sich auf das Reich, wo gezählt, gewogen, gemessen werden kann, auf die Quantität—; während umgekehrt alle unsere Werthempfindungen (d.h. eben unsere Empfindungen) gerade an den Qualitäten haften, das heißt, an unseren, nur uns allein zugehörigen perspektivischen “Wahrheiten,” die schlechterdings nicht “erkannt” werden können. Es liegt auf der Hand, daß jedes von uns verschiedene Wesen andere Qualitäten empfindet und folglich in einer anderen Welt, als wir leben, lebt. Die Qualitäten sind unsere eigentliche menschliche Idiosynkrasie: zu verlangen, daß diese unsere menschlichen Auslegungen und Werthe allgemeine und vielleicht constitutive Werthe sind, gehört zu den erblichen Verrücktheiten des menschlichen Stolzes, der immer noch in der Religion seinen festesten Sitz hat. Muß ich umgekehrt noch hinzufügen, daß Quantitäten “an sich” in der Erfahrung nicht vorkommen, daß unsere Welt der Erfahrung nur eine qualitative Welt ist, daß folglich Logik und angewandte Logik (wie Mathematik) zu den Kunstgriffen der ordnenden, überwältigenden, vereinfachenden, abkürzenden Macht gehört, die Leben heißt, also etwas Praktisches und Nützliches, nämlich Leben-Erhaltendes, aber ebendarum auch nicht im Entferntesten etwas “Wahres” [ist]?