Sommer 1886 - Frühjahr 1887 6 [1-26]
6 [4]
Vorreden und Nachreden.
Meine Schriften reden nur von meinen eignen Erlebnissen—glücklicherweise habe ich Viel erlebt—: ich bin darin, mit Leib und Seele—wozu es verhehlen?, ego ipsissimus, und wenn es hoch kommt, ego ipsissim um. Aber es bedurfte bei mir immer erst einiger Jahre Distanz, um jene gebieterische Lust und Kraft zu verspüren, welche jedes solches Erlebniß, jeden solchen überlebten Zustand darstellen heißt. Insofern sind alle meine Schriften, mit einer einzigen, allerdings sehr wesentlichen Ausnahme zurückdatirt. Manche sogar wie die ersten Unzeitgemäßen Betrachtungen, sogar hinter die Entstehungs- und Erlebnißzeit eines früher herausgegebenen Buches, der “Geburt der Tragödie”: wie es einem feineren Beobachter und Vergleicher nicht verborgen bleiben wird. Jener zornige Ausbruch gegen die Deutschthümelei, Behäbigkeit und Selbstbewunderung des alten David Strauß machte Stimmungen Luft, mit denen ich als Student inmitten deutscher Bildung und Bildungs-Philisterei gesessen hatte; und was ich gegen die “historische Krankheit” gesagt habe, das sagte ich als Einer, der von ihr genesen lernte und welcher ganz und gar nicht Willens war, fürderhin auf “Historie” zu verzichten. (Quod demonstratum est—). Als ich meine Dankbarkeit gegen meinen ersten und einzigen Erzieher, gegen Arthur Schopenhauer ausdrückte—ich würde sie jetzt noch viel stärker ausdrücken—war ich für meine eigne Person mitten in der moralistischen Scepsis und Auflösung drin und glaubte bereits an “gar nichts mehr,” wie das Volk sagt, auch an Schopenhauer nicht: eben in jener Zeit entstand ein geheim gehaltenes Schriftstück “über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne,”—aber schon in der “Geburt der Tragödie” und ihrer Lehre vom Dionysischen erscheint der Schopenhauerische Pessimismus als überwunden. Meine Festrede zu Ehren Richard Wagners, bei Gelegenheit seiner Bayreuther Siegesfeier—Bayreuth bedeutet den größten Sieg, den je ein Künstler errungen hat—war zugleich ein Lossage- und Entfremdungs-Akt. Wagner selbst täuschte sich darüber nicht: so lange man liebt, malt man keine solchen “Porträts” und “betrachtet” überhaupt nicht—“jeder, der sich genau prüft, weiß, daß selbst zum Betrachten eine geheimnißvolle Gegnerschaft, die des Entgegenschauens gehört,” heißt es p. 46 der genannten Schrift. Die Gelassenheit, um über lange Jahre innerlichsten Alleinseins und Entbehrens reden zu können, kam mir erst mit dem Buche “Menschliches, Allzumenschliches,” auf ihm liegt die heitere und neugierige Kälte des Psychologen, der eine Menge schmerzlicher Dinge, lauter facta, richtiger fata, seiner Vergangenheit für sich feststellt und mit der Nadel gleichsam fest sticht:—bei einer solchen Arbeit hat man wie bekannt immer etwas Blut an den Fingern ... Um es schließlich zu sagen, worauf ich mit den eben gegebenen Winken die Leser dieses Buches vorzubereiten für nöthig finde: es steht auch mit diesem Buche, dessen letzter Theil hiermit ans Licht gegeben wird, nicht anders als es bisher mit meinen Schriften stand,—es ist ein Stück meines Hinter-mir. Was ihm zu Grunde liegt, Gedanken, erste Niederschriften und Hinwürfe aller Art, das gehört meiner Vergangenheit an: nämlich jener räthselreichen Zeit, in der “Also sprach Zarathustra” entstand: es dürfte schon um dieser Gleichzeitigkeit willen nützliche Fingerzeige zum Verständnisse des eben genannten schwerverständlichen Werkes abgeben. Namentlich auch zum Verständnisse seiner Entstehung: mit der es etwas auf sich hat. Damals dienten mir solcherlei Gedanken sei es zur Erholung, sei es als Selbstverhör und Selbstrechtfertigung inmitten eines unbegrenzt gewagten und verantwortlichen Unterfangens: möge man sich des aus ihnen erwachsenen Buches zu einem ähnlichen Zwecke bedienen! Oder auch als eines vielverschlungenen Fußwegs, der immer wieder unvermerkt zu jenem gefährlichen und vulkanischen Boden hinlockt, aus dem das eben genannte Zarathustra-Evangelium entsprungen. So gewiß auch dies “Vorspiel einer Philosophie der Zukunft” keinen Commentar zu den Reden Zarathustra’s abgiebt und abgeben soll, so vielleicht doch eine Art vorläufiges Glossarium, in dem die wichtigsten Begriffs- und Werth-Neuerungen jenes Buchs—eines Ereignisses ohne Vorbild, Beispiel, Gleichniß in aller Litteratur—irgendwo einmal vorkommen und mit Namen genannt sind. Gesetzt endlich, meine Herrn Leser, daß gerade diese Namen euch nicht gefallen, euch nicht verführen, gesetzt sogar daß vestigia terrent ..., wer sagt euch, daß ich’s anders—will? Für meinen Sohn Zarathustra verlange ich Ehrfurcht; und es soll nur den Wenigsten erlaubt sein, ihm zuzuhören. Über mich dagegen seinen “Vater”—darf man lachen, wie ich selbst es thue: das gehört Beides sogar zu meinem Glücke. Oder, um einer Redensart [mich] zu bedienen, [die] über meiner Hausthür steht, und alles Gesagte noch einmal kurz zu sagen:
| ich wohne in meinem eignen Haus, hab Niemandem nie nichts nachgemacht, und lachte noch jeden Meister aus, der nicht sich selber—ausgelacht. |
* *
*