Sommer 1886 - Frühjahr 1887 6 [1-26]
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Dies Schicksal liegt nunmehr über Europa, daß gerade seine stärksten Söhne spät und selten zu ihrem Frühling kommen—, daß sie zumeist schon jung verekelt, verwintert, verdüstert zu Grunde gehn, gerade weil sie den Becher der Enttäuschung—und das ist heute der Becher der Erkenntniß—mit der ganzen Leidenschaft ihrer Stärke getrunken, ausgetrunken haben:—und sie würden nicht die Stärksten sein, wenn sie nicht auch die Enttäuschtesten gewesen wären! Denn das ist die Probe ihrer Kraft: erst aus der ganzen Krankheit der Zeit heraus müssen sie zu ihrer Gesundheit kommen. Der späte Frühling ist ihr Abzeichen; fügen wir hinzu: auch die späte Thorheit, die späte Narrheit, die späte Übermüthigkeit! Unsere Jugend kommt, wenn sie nicht mehr vermuthet wird, wir verschieben die Jahreszeiten des Lebens. Mag uns darin begreifen, wer sich gleich uns über sich selbst am meisten verwundert hat. Denn so gefährlich steht es heute: alles, was wir geliebt haben, als wir jung waren, hat uns betrogen; unsere letzte Liebe—die, welche uns dies gestehen macht—unsere Liebe zur Wahrheit—sehen wir zu, daß uns nicht auch diese Liebe noch betrügt! —