September 1870 - Januar 1871 5 [1-125]
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Die Vorstellung ist von allen Mächten die geringste: sie ist als Agens nur trug, denn es handelt nur der Wille. Nun aber beruht die individuatio auf der Vorstellung: wenn diese nun Trug ist, wenn sie nur scheinbar ist, um dem Willen zum Thun zu verhelfen—der Wille handelt—in unerhörter Vielheit für die Einheit. Sein Erkenntnißorgan und das menschliche fallen keineswegs zusammen: dieser Glaube ist ein naiver Anthropomorphismus. Erkenntnißorgane bei Thieren Pflanzen und Menschen sind nur die Organe des bewußten Erkennens. Die ungeheure Weisheit seiner Bildung ist bereits die Thätigkeit eines Intellekts. Die individuatio ist nun jedenfalls nicht das Werk des bewußten Erkennens, sondern jenes Urintellekts. Dies haben die kantisch-schopenhauerischen Idealisten nicht erkannt. Unser Intellekt führt uns nie weiter als bis zum bewußten Erkennen: insofern wir aber noch intellektueller Instinkt sind, können wir noch etwas über den Urintellekt zu sagen wagen. Über diesen trägt kein Pfeil hinaus.
In den großen Organismen wie Staat Kirche kommen die menschlichen Instinkte zur Geltung, noch mehr im Volk, in der Gesellschaft, in der Menschheit; viel größere Instinkte in der Geschichte eines Gestirns:
in Staat Kirche usw. giebt es eine Unzahl Vorstellungen, vorgeschobenen Wahn, während hier schon der Gesammtinstinkt schafft.
Vom Standpunkte des bewußten Denkens erscheint die Welt wie eine Unsumme ineinander geschachtelter Individuen: womit eigentlich der Begriff des Individuums aufgehoben ist. Die Welt ein ungeheurer sich selbst gebärender und erhaltender Organismus: die Vielheit liegt in den Dingen, weil der Intellekt in ihnen ist. Vielheit und Einheit dasselbe—ein undenkbarer Gedanke.
Vor allem wichtig einzusehn, daß die Individuation nicht die Geburt des bewußten Geistes ist. Darum dürfen wir von Wahnvorstellungen reden, unter der Voraussetzung der Realität der Individuation.