September 1870 - Januar 1871 5 [1-125]
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Die mitleidige Handlung ist eine Korrektur der Welt im Handeln; im Reiche des Denkens entspricht ihr die Religion.
So steht das Schaffen im Schönen neben dem Schön-finden.
Ist das Individualsystem im Guten durchbrochen?
Das reine Nach-Existenz-haschen des Willens ist genügend, um daraus die Ethik abzuleiten.
Die Pflicht: der Gehorsam gegen Vorstellungen: eine Täuschung! Die wahren Beweggründe des Willens werden von diesen Pflichtvorstellungen verdeckt. Man denke an die Pflichten gegen das Vaterland usw. Eine Pflichthandlung ist ethisch werthlos als Pflichthandlung; weil weder ein Gedicht noch eine Handlung durch Abstraktion gemacht wird. Sie ist aber werthvoll, weil sie eben nicht aus der Abstraktion, aus der Pflicht entstehen kann und doch geschehn ist.
Güte und Liebe sind geniale Eigenschaften: die höchste Macht geht von ihnen aus, also spricht hier der Instinkt, der Wille. Es ist ein Einheitstrieb, die Offenbarung einer höheren Ordnung, die sich in Güte Liebe Barmherzigkeit Mitleid kundgiebt.
Güte und Liebe praktische Weltcorrektionstriebe—neben der Religion, die als Wahnvorstellung dazwischentritt.
Sie sind mit dem Intellekt nicht verwandt, er hat gar keine Mittel sich mit ihnen zu befassen. Sie sind reiner Instinkt, Gefühl mit einer Vorstellung gemischt.
Die Vorstellung im Gefühl hat zu der eigentlichen Willensregung nur die Bedeutung des Symbols. Dies Symbol ist das Wahnbild, durch das ein allgemeiner Trieb eine subjektive individuelle Reizung ausübt.
Das Gefühl—mit Willen und unbewußter Vorstellung
die That—mit Willen und bewußter Vorstellung.
Wo fängt die That an? Sollte “That” nicht auch eine Vorstellung, etwas Undefinirbares sein? Eine sichtbar werdende Willensregung? Aber sichtbar? Diese Sichtbarkeit ist etwas Zufälliges und Äußerliches. Die Bewegung des Mastdarms ist auch eine Willensregung, die sichtbar wäre, wenn wir dorthin Augen bringen könnten.
Der bewußte Wille charakterisirt auch nicht die That; denn wir können auch eine Empfindung bewußt erstreben, die wir doch eben nicht That nennen würden.
Was ist das Bewußtwerden einer Willensregung? Ein immer deutlicher werdendes Symbolisiren. Die Sprache, das Wort nichts als Symbol. Denken d. h. bewußtes Vorstellen ist nichts als die Vergegenwärtigung Verknüpfung von den Sprachsymbolen. Der Urintellekt ist darin etwas ganz Verschiednes: er ist wesentlich Zweckvorstellung, das Denken ist Symbolerinnerung. Wie die Spiele des Sehorgans bei geschlossenen Augen, die auch die erlebte Wirklichkeit im bunten Wechsel durcheinander reproduziren, so verhält sich das Denken zur erlebten Wirklichkeit: es ist ein stückweises Wiederkäuen.
Die Trennung von Wille und Vorstellung ist ganz eigentlich eine Frucht der Nothwendigkeit im Denken: es ist eine Reproduktion, eine Analogie nach dem Erlebniß, daß wenn wir etwas wollen, uns das Ziel vor Augen schwebt. Dies Ziel aber ist nichts als eine reproduzirte Vergangenheit: in dieser Art macht sich die Willensregung verständlich. Aber das Ziel ist nicht das Motiv, das Agens der Handlung: obwohl dies der Fall zu sein scheint.
Es ist Unsinn, die nothwendige Verbindung von Wille und Vorstellung zu behaupten: die Vorstellung erweist sich als ein Trugmechanismus, den wir nicht im Wesen der Dinge vorauszusetzen brauchen. Sobald der Wille Erscheinung werden soll, beginnt dieser Mechanismus.
Im Willen giebt es Vielheit, Bewegung nur durch die Vorstellung: ein ewiges Sein wird erst durch die Vorstellung zum Werden, zum Willen, d. h. das Werden, der Wille selbst als Wirkender ist ein Schein. Es giebt nur ewige Ruhe, reines Sein. Aber woher die Vorstellung? Dies ist das Räthsel. Natürlich ebenfalls von Anbeginn, es kann ja niemals entstanden sein. Nicht zu verwechseln ist der Vorstellungsmechanismus im sensiblen Wesen.
Wenn aber Vorstellung bloß Symbol ist, so ist die ewige Bewegung, alles Streben des Seins nur Schein. Dann giebt es ein Vorstellendes: dies kann nicht das Sein selbst sein.
Dann steht neben dem ewigen Sein eine andre ganz passive Macht, die des Scheins— —Mysterion!
Wenn dagegen der Wille die Vielheit, das Werden in sich enthält, so giebt es ein Ziel? Der Intellekt, die Vorstellung muß unabhängig vom Werden und Wollen sein; das fortwährende Symbolisiren hat reine Willenszwecke. Der Wille selbst aber hat keine Vorstellungen nöthig, dann hat er auch keinen Zweck: der nichts als eine Reproduktion, ein Wiederkäuen des Erlebten im bewußten Denken ist. Die Erscheinung ist ein fortwährendes Symbolisiren des Willens.
Weil wir bei den Wahnvorstellungen die Absicht des Willens erkennen, so ist die Vorstellung Geburt des Willens, so ist Vielheit bereits im Willen, so ist die Erscheinung eine :0P"<"Z des Willens für sich.
Man muß im Stande sein, die Grenzen zu umzeichnen und dann sagen: diese nothwendigen Denkconsequenzen sind die Absicht des Willens.