Frühjahr 1871 - Anfang 1872 14 [1-30]
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Die klassische Bildung.
Die höchste Bildung etwas völlig Unnützes: Privilegium des Genius. Aus seiner Bildung kann man keinen Lebensberuf machen, von dem zu leben ist. Dies die Vorstellung des Sokrates vom Weisen, der kein Geld nimmt.
| Der Gelehrte an Stelle des Gebildeten Der Lehrer von Beruf an Stelle des vorbildlichen Weisen. | Kennzeichen des Mittelalters. |
Unsere Schulen sind nach diesem mittelalterlichen Princip eingerichtet. Die Bildung eines eigenen Lehrstandes ist die Folge gewesen.
Gelehrter kann ziemlich Jeder werden, ein Gebildeter Wenige. Verallgemeinerung der Gelehrsamkeit—das alte Bildungsziel. Möglichst viele zu Gelehrten abrichten—die höchste alte Erziehungsaufgabe. Das Leben unter der Knechtschaft der Wissenschaft.
Daraus entstand die lateinische Schule, die unnationale Bildungsschule des Gelehrten.
Der Anspruch auf klassische Bildung ist etwas ganz Modernes und eine Verkehrung der Gymnasialtendenz.
Inzwischen ist ersichtlich, daß man nicht vom Latein zur Wissenschaft zu kommen braucht, ebenso daß der Gelehrte und der Gebildete nicht identisch sind.
Jetzt kühner Griff: das alte Gymnasium wird zur Formalschule umgestempelt.
Große öffentliche Lüge. Die Alten sind wahrhaftig in einem noch höheren Grade unsre wahren Meister und Lehrer: aber nicht für Knaben.
Unsere Gymnasiallehrer (unsre besten) sind gar nicht auf diese Ansprüche eingerichtet. Sie erziehen nach wie vor Gelehrte, aber eigentlich nur noch Philologen.
Wenn man ehrlich sein will, muß man irgendwann das Gymnasium in eine philologisch-historische Fachanstalt verwandeln, im Dienste der Wissenschaft.