Herbst 1880 6 [201-300]
6 [274]
Unserem ganzen Organism ist das vorschnelle Zuneigen und Abneigen die Verstellung usw. eingeformt worden: allmählich kann ihm auch die Wahrhaftigkeit angebildet werden und immer tiefer einwurzeln, mit welchen Wirkungen? Einstweilen ist er ein bewegtes Netz von Lüge und Trug und deren Fangarmen: ganz thierisch-nützlich. Die Erziehung zur Wahrheit—ist sie eine Verbesserung des Thieres, eine höhere Anpassung an die Wirklichkeit?— Unser Wohlwollen Mitleid, unsere Aufopferung, unsere Moralität ruht auf demselben Unterbau von Lüge und Verstellung wie unser Böses und Selbstisches! Dies ist zu zeigen! Der unangenehme, ja tragische Eindruck dieser Entdeckung ist unvermeidlich zunächst. Aber alle unsere Triebe müssen zunächst ängstlicher mißtrauischer werden, allmählich mehr Vernunft und Redlichkeit in sich aufnehmen, hellsichtiger werden und immer mehr so den Grund zum Mißtrauen gegen einander verlieren: so kann einmal eine größere Freudigkeit entstehen, eine fundamentalere: einstweilen wäre diese Freudigkeit nur dem Unredlichen möglich. Resignation und jene heroische Lust am Trotz und am Siege sind die einzigen Formen unserer Freudigkeit: wenn wir Erkennende sind. NB NB NB!!! Wie kommt es nur, daß wir gegen die gründliche Verlogen- und Verstelltheit ankämpfen? Ein Gefühl der Macht, welche in der Entwicklung und im Wirken unseres Intellekts frei wird, treibt uns: es macht Appetit.