Herbst 1880 6 [201-300]
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Immer so handeln, daß wir mit uns zufrieden sind—da kommt es auf die Feinheit der Wahrhaftigkeit gegen uns selber an. Zweitens auf den Maaßstab, mit dem wir messen. Ein gutes Gewissen kann also ein sehr starkes Anzeichen von Gemeinheit und intellektueller Grobheit sein: ein schlechtes Gewissen von intellektueller Delikatesse.
Wenn die Anderen mit uns nicht unzufrieden wären, und nicht Vieles schief abliefe, so wäre die Zufriedenheit mit sich selber die Regel. Die unerwarteten unangenehmen Nachwirkungen stören diese Zufriedenheit: beim Unangenehmen suchen wir nach einer Entladung unseres Rachegefühls und treffen damit zumeist uns selber. Das Mißgeschick ist es, das dem Menschen sein böses Gewissen giebt “es hätte anders sein können.” Da tadeln wir uns und schätzen unseren Scharfsinn und unsere Absichten gering. Wären wir nicht M der Rache, so wären wir viel zufriedener: wie es im allgemeinen die Frauen sind, da in diesen das Rachegefühl nicht so stark ist.— Das Gewissen wird also durch den Erfolg bestimmt: es verurtheilt nachträglich die Absichten, ja es verfälscht nachträglich die Absichten: die ganze Unmoralität und Unredlichkeit eines Menschen zeigt sich in dern Prozesse, den ihm sein Gewissen macht. Das schlechte Gewissen ist ebenso wie das gute Gewissen eines Menschen so dumm, verleumderisch oder lobrednerisch schmeichlerisch bequem—als der ganze Mensch ist. Man hat ein Gewissen nach seinem Niveau.